Der Kirschbluetenmord
unterhalten …
Zu seiner Erleichterung kam ihm Tsunehikos Neugier zu Hilfe. Der Schreiber verschwand alsbald in einem der Geschäfte und begann, sich durch einen Stapel Zeichnungen zu wühlen. Erleichtert ging Sano allein die Straße hinunter.
Kaum war er vor der Kunsthandlung angelangt, als ihm auch schon ein Marktschreier entgegentrat und rief: »Guten Tag, Herr! Sucht Ihr nach den feinsten Holzschnitten zu den günstigsten Preisen? Dann seid Ihr bei mir genau richtig!«
Der Händler war ein fetter Mann von verblüffender Häßlichkeit. Sein hervorstechendstes Kennzeichen, ein großes, flammendrotes Muttermal, erstreckte sich von der Oberlippe über den Mund bis hinunter zum Kinn. Haare sprießten aus seinen Nasenlöchern, und Blatternarben übersäten seine Haut wie winzige Krater. Die hervorquellenden Augen verliehen ihm das Aussehen eines Insekts, einer Gottesanbeterin vielleicht. Die Ähnlichkeit mit diesem Tier wurde durch die hängenden Schultern und die Art und Weise unterstrichen, wie der Mann sich die knochigen Hände rieb, während er Sano wie ein Beutetier anstarrte.
»Tretet ein, tretet ein«, drängte er und zerrte Sano am Ärmel.
Sano stieg zum Eingang des Geschäfts hinauf und schob den Vorhang zur Seite, der den Blick ins Innere teilweise verwehrte. Die Kunsthandlung erwies sich als kleiner Laden: ein einziger Raum, dessen Wände mit Holzschnitten und Tuschezeichnungen bedeckt waren, die hinter Ständern und Regalen verschwanden, welche mit weiteren Holzschnitten und Zeichnungen beladen waren. Sano war der einzige Kunde.
»Nun denn, was kann ich für Euch tun?« fragte der häßliche Mann. Offensichtlich war er Marktschreier und Ladeninhaber in einer Person. »Wie wäre es mit wunderschönen Landschaftsbildern?«
Er zeigte auf eine Sammlung von Holzschnitten, die an einer Wand hingen und den Fujiyama im Wandel der vier Jahreszeiten zeigten. Jetzt erkannte Sano, weshalb sich keine Kunden in dem Laden aufhielten. Die Stiche waren von minderer Qualität und grellen, unnatürlichen Farben; zudem war die Passer ungenau, so daß die Bilder verschwommen wirkten. Sano staunte, daß die Okubata-Kunsthandlung nicht längst schon Pleite gemacht hatte.
»Seid Ihr Herr Okubata?« fragte er den Mann.
»Ja, der bin ich. Aber jeder nennt mich Kirschenesser.« Mit einem gekünstelten Lachen zeigte der Ladenbesitzer auf sein Muttermal.
Sano hatte das Gefühl, daß der Name »Kirschenesser« eine zweite, anzüglichere Bedeutung besaß, wie der verschmitzte Ausdruck in den Augen des Mannes anzudeuten schien.
Kirschenesser zog einen Holzschnitt vom nächststehenden Regal. »Oder zieht Ihr die klassische Kunst vor, Herr?« fragte er.
Sano zuckte zusammen, als er den Holzschnitt sah. Er war eine primitive Kopie des klassischen Gemäldes hegassen, der »Furzschlacht«. Auf Kirschenessers Plagiat waren zwei berittene Samurai zu sehen, die sich ihre nackten Hintern zuwandten und sich mit Fürzen duellierten, denen der Maler die Form riesiger, farbiger Flammenwolken verliehen hatte.
»Eine wundervolle Huldigung Eurer heldenhaften Ahnen«, kommentierte Kirschenesser das Machwerk. »Wie wäre es damit?«
»Nein, danke.« Sano, dem die indirekte Beleidigung seines Standes sauer aufstieß, musterte den Ladenbesitzer und suchte nach Anzeichen von Ironie oder Boshaftigkeit, doch das häßliche Gesicht des Mannes war höflich und freundlich. »Um ehrlich zu sein, bin ich hergekommen, um mit Euch über Herrn Noriyoshi zu reden, Euren Angestellten. Ich bin …«
Bevor Sano die Gelegenheit hatte, sich vorzustellen, rief Kirschenesser: »Aaah! Warum habt Ihr das nicht gleich gesagt?« Mit einem wissenden Kopfnicken bedeutete er Sano, ihm zu einem Regal im hinteren Teil des Ladens zu folgen. Dort angelangt, fuhr Kirschenesser fort: »Es ist ein Jammer, daß der große Künstler Noriyoshi Abschied von dieser Welt genommen hat. Aber hier habe ich seine allerletzten Arbeiten. Und seine besten, wie ich hinzufügen möchte. Gefallen sie Euch? Nun?«
Als er die Holzstiche betrachtete, erkannte Sano sofort, womit die Kunsthandlung Okubata ihr Geld verdiente: durch den Verkauf von shunga – erotischen Kunstwerken – an eine vermutlich ausgewählte Kundschaft. Die anderen Holzschnitte waren lediglich Schaufensterdekoration. Noriyoshis Arbeiten zeigten Liebespaare in allen erdenklichen Stellungen und Situationen: in einem Schlafzimmer, wobei der Mann auf der Frau lag; in einem Garten, wobei die Frau mit gespreizten Beinen in
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