Der Kirschbluetenmord
einer Astgabel saß, während der Mann vor ihr stand und in sie eindrang. Auf einigen Bildern waren weitere Personen zu sehen: Dienstmädchen, zum Beispiel, die dem Liebespaar Hilfestellungen leisteten, oder Voyeure, die durch Fenster spähten und das Paar beobachteten. Kleidung, Umgebung und vor allem die Genitalien hatte Noriyoshi in großer Detailgenauigkeit widergegeben. Ein riesiges Bild zeigte einen liegenden Samurai, dessen Schwerter neben ihm am Boden lagen; sein Gewand klaffte auf und enthüllte eine gewaltige Erektion. Mit einer Hand streichelte er ein nacktes Mädchen, das neben ihm lag, zwischen den Beinen, mit der anderen zog er die Hand des Mädchens an sein Glied heran. Die Bildunterschrift lautete:
Seht nur, seht
Mit ganzem Herzen
Teilen sie das Liebesbett:
Welch Mädchens Antlitz
Würde nicht erröten,
Ihr Atem schneller gehen,
Liebkost man ihre edelsteinfunkelnde Pforte,
Während sie den Stab aus Jade ergreift?
Sämtliche Holzschnitte waren denen im vorderen Teil des Ladens technisch und künstlerisch haushoch überlegen. Die Farben waren klar und harmonisch; die Zeichnungen meisterhaft. Außerdem besaßen die Holzschnitte eine sinnliche Anmut, die den meisten gewöhnlichen shunga fehlte. Sano spürte, wie die Bilder ihn gegen seinen Willen zunehmend erregten.
»Vielleicht können Noriyoshis Werke Euch bei Euren romantischen Begegnungen hilfreich sein«, flüsterte Kirschenesser verschwörerisch.
Dieser verbale Hieb gegen seine Manneskraft – ob beabsichtigt oder nicht – riß Sano aus seinen Betrachtungen. Entweder war dieser Kerl ein äußerst gerissener Schurke, oder er war einfach zu gedankenlos, als daß ihm bewußt gewesen wäre, wie sehr derartige Bemerkungen seine Kunden beeinflussen konnten. Sano wandte sich von den Bildern ab und sagte mit scharfer Stimme: »Ich bin nicht hier, um etwas zu kaufen.«
Als Sano sich als yoriki zu erkennen gab, konnte er mit einer gewissen Befriedigung feststellen, wie Kirschenesser erbleichte, so daß sein Muttermal wie ein fieberglühender Ausschlag auf seinem Gesicht erstrahlte. Die Blicke des Kunsthändlers huschten zu seinen Holzschnitten hinüber, von denen keiner das rote runde Siegel der Steuereintreiber trug, wodurch die Werke eindeutig als Konterbande kenntlich waren, deren Besitz oder Veräußerung unter Strafe standen.
»Ich interessiere mich ebensowenig für Eure Geschäfte«, fügte Sano rasch hinzu. »Ich möchte nur, daß Ihr mir einige Fragen über Noriyoshi beantwortet.«
Die Farbe strömte in Kirschenessers Gesicht zurück. »Falls ich es kann, Herr. Fragt, was Ihr wollt.« Vor Erleichterung schien er plötzlich sehr mitteilsam zu sein.
Um den Mann zu besänftigen und zu vermeiden, daß er Verdacht schöpfte, begann Sano mit einer harmlosen Frage: »Wie lange hat Noriyoshi für Euch gearbeitet?«
»Oh, nicht lange genug.«
Trotz des unschuldigen Lächelns, das Kirschenesser aufsetzte, erkannte Sano, daß die Seitenhiebe und klugscheißerischen Bemerkungen des Ladenbesitzers beabsichtigt waren, wenngleich er sie in gekonnt gespieltem Ernst vorbrachte, so daß die meisten Leute sich vermutlich davon täuschen ließen. Zornig warf Sano ihm einen warnenden Blick zu.
Verschmitztheit leuchtete in Kirschenessers Augen auf, während er an den Fingern abzählte. »Noriyoshi war sechs … sieben Jahre bei mir.«
Lange genug, daß die beiden sich sehr gut gekannt haben, ging es Sano durch den Kopf. »Was für ein Mann war Noriyoshi?«
»Ziemlich normal. Er hatte zwei Augen, zwei Ohren, eine Nase …«
Sanos Verärgerung wuchs. Düster starrte er Kirschenesser an und legte die Hand auf den Griff eines seiner Schwerter, um die Drohung zu unterstreichen.
Kirschenessers vorstehende Insektenaugen traten noch weiter hervor; sein Lächeln schwand. Offensichtlich hatte er eingesehen, daß er zu weit gegangen war, und schlagartig wurde er ernst.
»Oh, Noriyoshi war ein hochbegabter Künstler. Und äußerst produktiv. Seine Werke haben sich gut verkauft. Ich werde ihn sehr vermissen.«
»Ich wollte eigentlich wissen, wie er als Mensch war«, sagte Sano geduldig. »War er freundlich? Beliebt?«
Kirschenesser grinste. »Na ja, nicht sehr beliebt. Aber er hatte viele Freunde, würde ich sagen.« Er wies mit der Hand zur Straße. »Im ganzen Bezirk.«
»Sagt mir ihre Namen.« Wenn man davon absah, daß Sano die nervtötende Art des Kunsthändlers ertragen mußte, lief es besser, als er erwartet hatte.
Kirschenesser nannte eine
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