Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
Vom Netzwerk:
bedurften. Deshalb habe ich diesen Bericht verfaßt.« Als er bemerkte, daß Ogyū ihn stirnrunzelnd betrachtete, fuhr Sano hastig fort. Seine Anordnung, Noriyoshis Leichnam zu verbrennen, erwähnte er jedoch nicht, und er hoffte flehentlich, daß Ogyū dieses Thema nicht mehr anschnitt.
    »Verzeiht mir meine Anmaßung; ich hätte Euren Befehlen nicht zuwider handeln dürfen«, sagte Sano. »Aber jetzt, da ich einige Nachforschungen angestellt habe, bin ich der Überzeugung, daß Yukiko und Noriyoshi ermordet wurden. Ich bitte Euch um Erlaubnis, meine Untersuchungen abschließen zu dürfen, um den Mörder zu finden und ihn der gerechten Strafe zuzuführen.« Sano hielt es für überflüssig, den Magistraten daran zu erinnern, daß man zumindest den Tod einer Fürstentochter genauer untersuchen mußte, wohingegen der Tod eines gemeinen Bürgers wie Noriyoshi für gewöhnlich keine großen polizeilichen Aktivitäten nach sich zog.
    Die Falten auf Ogyūs gerunzelter Stirn wurden tiefer – ob aus Verärgerung oder Erstaunen, konnte Sano nicht erkennen. »Und woher wißt Ihr das?« fragte er.
    Sano nahm einen Schluck Tee, um seine Nerven zu beruhigen. »Ich habe erfahren, daß Noriyoshi sexuell mit Männern verkehrte. Deshalb ist nicht anzunehmen, daß er aus Liebe zu einer Frau Selbstmord begangen hat. Außerdem hatte er Feinde. Mindestens einer dieser Feinde hat Noriyoshi so sehr gehaßt, daß er fähig gewesen wäre, ihn zu ermorden.«
    »Und wer könnte das sein?« Ogyū trank die Schale Tee leer; dann bedeutete er dem Diener, ihm und Sano nachzufüllen.
    »Kikunojō, der Kabuki-Schauspieler.«
    »Wie habt Ihr von diesem … Feind erfahren?« Die Pause, die Ogyū vor dem Wort »Feind« einlegte, ließ deutlich seine Skepsis erkennen.
    »Ich habe mit einer engen Freundin Noriyoshis gesprochen, einer Frau namens Wisterie«, antwortete Sano. Als er diesen Namen nannte, um seinen Darlegungen mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, hoffte er inständig, daß Ogyū sich nicht nach Wisteries Beruf erkundigte.
    Doch offenbar kannte Ogyū die yūjo. Gerüchte besagten, daß der Magistrat trotz seines hohen Alters noch immer die Freudenhäuser Yoshiwaras besuchte. Ogyū seufzte und zitierte ein altes Sprichwort: »Zwei Dinge sind sehr selten: viereckige Eier und eine aufrichtige yūjo. «
    »Ich glaube, Wisterie hat die Wahrheit gesagt«, erwiderte Sano und mußte unwillkürlich an die vergangene Nacht denken – an Wisteries Trauer; an ihre flehentliche Bitte, Kikunojō wegen des Mordes an ihrem Freund zu verhaften; an ihre Leidenschaft … Sanos Blut geriet in Wallung, und er mußte sich zwingen, sich auf das Gespräch mit Ogyū zu konzentrieren.
    Der Magistrat schüttelte den Kopf. » Yoriki Sano …« Wie könnt Ihr nur so leichtgläubig sein, besagte sein Tonfall. Wie könnt Ihr es wagen, mir mit einem solchen Unsinn meine kostbare Zeit zu stehlen?
    »Als ich in der Leichenhalle war, Ehrenwerter Magistrat, um mir Noriyoshi anzuschauen, habe ich eine schwere Verletzung an seinem Kopf entdeckt. Als hätte jemand ihn geschlagen«, sagte Sano mit wachsender Verzweiflung. »Und er … er sah nicht so aus, als wäre er ertrunken.« Jetzt bewegte er sich auf gefährlichem Boden. Was war, wenn Ogyū mehr über den Besuch in der Leichenhalle erfahren wollte?
    Zum Glück hielt Ogyūs kultiviertes Feingefühl ihn davon ab, dieses Thema zu vertiefen. Er zog ein mißbilligendes Gesicht und sagte: »Über solche Dinge reden wir hier nicht.«
    Sano hatte seine stichhaltigsten Argumente vorgebracht; jetzt wußte er nicht mehr, was er Ogyū sonst noch sagen konnte. Falls der Magistrat ihn abwies, hatte Sano keine Aussicht mehr auf Erfolg.
    Ogyū räusperte sich und bedeutete dem Diener, ihnen noch einmal Tee nachzuschenken. Sano wappnete sich gegen einen wohlüberlegten, gezielten Verweis des Magistraten – möglicherweise eine Anspielung auf seinen Gönner, Katsuragawa Shundai. Doch Sano erkannte rasch, daß die gewundenen Gedankengänge des Magistraten in eine ganz andere Richtung führten.
    »Wir Menschen können aus dem Reich der Tiere sehr viel lernen«, sagte Ogyū. »Wenn der Tiger sich zum Fluß begibt, wartet das Reh, bis er seinen Durst gestillt hat und wieder fort ist. Erst dann wagt es sich ans Wasser. Und wenn der Falke am Himmel kreist, verstecken sich die kleinen Lebewesen, bis er davongeflogen ist.«
    Sano nickte und fragte sich, worauf Ogyū hinauswollte.
    »Und wenn die Libelle ihre prächtigen Flügel ausbreitet, wagen

Weitere Kostenlose Bücher