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Der Kirschbluetenmord

Der Kirschbluetenmord

Titel: Der Kirschbluetenmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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kleine Gaststube, an die er sich aus seiner Studentenzeit erinnerte. Dort konnte er zu einem horrenden Preis, der ihn alles Geld kosten würde, das er bei sich hatte, ein paar Stunden Ruhe finden und auf den Tagesanbruch warten, wenn die Tore wieder geöffnet wurden.
    Später, als er auf einer strohgedeckten Pritsche lag und dem trunkenen Schnarchen der neun anderen Männer lauschte, die das Zimmer mit ihm teilten, überkamen ihn erneut Unbehagen und Schuldgefühle. Er erkannte, daß es nicht recht gewesen war, die Einsamkeit und Trauer einer Frau auszunutzen. Als er an Wisteries Schmerz dachte, wünschte er sich, er hätte die Kraft gehabt, ihrer Schönheit zu widerstehen. Daß er mit Wisterie geschlafen hatte, hatte ihr keinen Trost gespendet. Nun verspürte er den Wunsch, ihr für den zusätzlichen Schmerz, den er ihr bereitet hatte, Wiedergutmachung zu leisten.
    Diese Wiedergutmachung konnte ihn die Familienehre kosten. Aber was konnte er Wisterie anderes bieten, als sein Bestes zu geben, Noriyoshis Mörder vor Gericht zu bringen?

8.
    D
    iesmal fand Sanos Gespräch mit Magistrat Ogyū nicht im Gerichtshof statt, sondern in Ogyūs privater Schreibstube. Die Fenster waren durchscheinend, und die Morgensonne fiel hell ins Innere, so daß dieses Zimmer eine viel freundlichere Atmosphäre besaß als der düstere Gerichtssaal. Kein dōshin, kein Verteidiger, keine Zeugen waren anwesend; nur Ogyūs Diener, ein älterer Mann, schlurfte durchs Zimmer und schenkte Tee ein.
    Und diesmal saß Sano dem Magistraten nicht hinter dem shirasu, der Grube mit dem weißen »Sand der Wahrheit« gegenüber – wie ein Verbrecher, der auf den Urteilsspruch wartet –, sondern die beiden Männer knieten auf seidenen Kissen, wie es den Gepflogenheiten entsprach, wenn höhere Beamte ein Gespräch führten. Dennoch hatte Sano erneut das Gefühl, vor Gericht zu stehen.
    »Ehrenwerter Magistrat, ich bitte untertänigst um Eure Erlaubnis, die Nachforschungen über den Tod von Niu Yukiko und Noriyoshi weiterführen zu dürfen«, kam er ohne Umschweife zur Sache.
    Sano hatte hin und her überlegt, ob er Ogyū an diesem Tag aufsuchen oder noch warten sollte, bis er weitere Informationen besaß, um die Dringlichkeit seines Anliegens zu unterstreichen. Seine Schuldgefühle hatten ihn schließlich veranlaßt, Ogyū schon jetzt um ein Gespräch zu bitten; zumindest Offenheit schuldete er seinem Vorgesetzten.
    Der Magistrat erwiderte zunächst nichts, nachdem Sano seine Bitte vorgebracht hatte; statt dessen nahm er die Teeschale in beide Hände, hob sie bis unter die Nase und sog den Dampf ein, der aus der Schale aufstieg. An diesem Morgen trug Ogyū seine Amtskleidung – einen schwarzen haori mit breiten, wattierten Schultern über einem schwarzen Kimono, der mit kreisförmigen, goldenen Familienwappen bedruckt war. Der kräftige schwarze Stoff verlieh der Haut des alten Mannes ein besonders bleiches und vertrocknetes Aussehen. Vor dem Hintergrund des farbenprächtigen Wandgemäldes wirkte Ogyū wie ein uraltes, mit Pinsel und Tusche gezeichnetes Ahnenporträt.
    »Ich bin froh, daß Ihr zu mir gekommen seid«, sagte er schließlich. »Wie mir scheint, haben wir viel zu besprechen.«
    Sano versuchte, in dieser sachlichen Äußerung einen Hoffnungsschimmer zu erkennen. »Tatsächlich, ehrenwerter Magistrat?«
    »Zunächst einmal wäre da eine kleine Angelegenheit zu klären. Es geht um diesen Bericht hier, den Ihr geschrieben habt.« Ogyū blickte auf ein entrolltes Blatt Papier, das vor ihm auf dem Schreibpult lag.
    Sano erkannte seine eigene Schrift und sein Siegel, und Unruhe stieg in ihm auf. Es war der Bericht, in dem er den shinjū als zweifelhaft eingestuft hatte.
    »Ich fürchte, der Inhalt dieses Dokuments entspricht nicht der Übereinkunft, die wir bei unserem letzten Gespräch getroffen haben«, fuhr Ogyū fort.
    Sano wurde bang ums Herz. Falls Ogyū der Bericht mißfiel, würde der Magistrat keinen weiteren Bitten und Vorschlägen mehr zugänglich sein.
    »Außerdem habt Ihr angeordnet, Noriyoshis Leiche zu verbrennen – ein krasser Verstoß gegen das Gesetz, daß die Opfer eines shinjū als Strafe für ihr Verbrechen öffentlich zur Schau gestellt werden müssen. Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung vorzubringen, yoriki Sano?«
    »Bitte, laßt mich erklären«, sagte Sano. Er konnte beinahe spüren, wie der Boden ihm unter den Füßen versank. »Als ich von den Todesfällen hörte, war ich der Meinung, daß sie weiterer Nachforschungen

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