Der Kirschbluetenmord
gewordener Bär brüllte.
»Aufhören!« kreischte der Kaufmann. Blut spritzte ihm aus der Nase. »Ihr habt gesiegt! Ich gebe auf!«
Die Freunde des Kaufmanns versuchten, Raikō vom Gegner fortzuziehen, worauf der Ringer sich auf sie stürzte. Plötzlich verwandelte die Menge sich in ein Chaos aus wimmelnden Körpern, wirbelnden Fäusten und tretenden Beinen. Männer riefen sich Beleidigungen zu; Schmerzensschreie erklangen.
»Hört auf!« rief Sano, doch das Gebrüll der prügelnden Männer übertönte seine Stimme. Er versuchte, sein Schwert zu ziehen, wurde aber zwischen den Körpern der Kämpfenden eingeklemmt, so daß er sich kaum mehr bewegen konnte. Hätte er den Kampf doch verhindert, als noch die Möglichkeit dazu bestand!
Schlägereien wie diese waren die eigentliche Gefahr beim Straßen-Sumo. Es kam nur selten vor, daß bei den Kämpfen, die ohne Ringrichter geführt wurden, einer der Kontrahenten eine Verletzung davontrug, obwohl es hin und wieder vorkam. Viel gefährlicher jedoch waren die Ausbrüche von Gewalt unter den Zuschauern. Eine Menschenmenge konnte rasch zu einer hirnlosen, mörderischen Waffe werden – zu einem Schwert, das von einer Hand geführt wurde, die blindlings zuschlug. Jetzt rannten die ersten Zuschauer los, um sich in Sicherheit zu bringen. Sano sah, wie der Junge mit der Trommel zu Boden geschleudert wurde und unter den stampfenden Füßen verschwand.
Zum Glück besannen sich die beiden dōshin endlich auf ihre Pflichten. »Auseinander!« brüllten sie. »Nach Hause mit euch! Der Spaß ist vorbei!«
Indem sie die Streithähne mit ihren jitte stießen und stachen, gelang es ihnen schließlich, die Menge auseinanderzutreiben. Einer der dōshin rief seine Helfer herbei, die Verletzten zusammenzutragen. Sano hatte sich derweil in den Schutz des Eingangs zu einem Teehaus zurückgezogen, um zu vermeiden, zusammen mit dem Rest der Zuschauer davongejagt zu werden. Er beobachtete, wie der andere dōshin zu Raikō hinüberschlenderte, der in der Mitte des Ringes stand.
Die rätselhafte Wut des Kolosses schien so rasch verflogen zu sein, wie sie ihn gepackt hatte. Jetzt lag ein verdutzter Ausdruck auf seinem Gesicht, und er runzelte die Stirn. In offensichtlicher Verwirrung starrte er seinem flüchtenden Publikum hinterher und rief, wenngleich ohne rechte Überzeugung: »Gibt’s noch einen Herausforderer? Wer von euch ist tapfer genug, gegen den gewaltigen Raikō anzutreten? Wer will’s versuchen?«
Niemand wollte. Der dōshin blieb vor Raikō stehen und streckte den Arm aus, die Handfläche nach oben. Raikō seufzte. Er bückte sich und sammelte die Münzen ein, die im Ring lagen, zählte die Hälfte ab und legte sie dem dōshin in die Hand. Der dōshin grinste schmierig und schlenderte davon, wobei er die Münzen in der Hand klingeln ließ. Er bemerkte Sano nicht, was verständlich war: Er rechnete wohl kaum damit, seinen Vorgesetzten an einem Ort wie diesem anzutreffen.
Raikō bezahlt einen dōshin dafür, daß dieser seine Kämpfe duldet und unter den Zuschauern für Ordnung sorgt, dachte Sano und schüttelte den Kopf. Er mußte diesem dōshin bei der nächsten Besprechung einen strengen Verweis erteilen. Die Straßenschlacht hätte noch viel schlimmer enden können; bei solchen Prügeleien hatte es schon Tote gegeben. Vorsichtig trat Sano aus dem Türeingang und ging zu Raikō hinüber, der jetzt allein im Ring stand und sich mit der linken Hand zwischen den Beinen kratzte, während er die Münzen betrachtete, die er in der rechten Pranke hielt. Der Ringer sah jetzt ziemlich harmlos aus. Aber was war, wenn ihn wieder ein Wutanfall packte?
»Nicht mal genug, um satt zu werden«, beklagte sich Raikō. »Warum mußten diese dōshin auch eingreifen und meinen Kampf unterbrechen!«
Hat der Kerl etwa vergessen, daß er vor wenigen Augenblicken noch drauf und dran war, einen hilflosen Mann zu erschlagen und einen regelrechten Aufstand anzuzetteln? fragte Sano sich verdutzt und mißtrauisch zugleich. Er beschloß, dennoch den Versuch zu machen, sich dem angeblichen Erpressungsopfer Noriyoshis zu nähern.
»Darf ich Euch zum Essen einladen?« fragte Sano. Vielleicht war Raikō eher geneigt, Fragen zu beantworten – und vor allem weniger reizbar –, wenn er mit Speisen und Getränken versorgt wurde.
Raikōs mürrische Miene wich einem heiteren Lächeln. »Oh, ja, gern«, erklärte er sich auf der Stelle einverstanden. Diese Eilfertigkeit ließ Sano erkennen, daß Raikō es
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