Der Kirschbluetenmord
… kann ich auf die Dienste meines Schreibers verzichten.«
Mit einem Kopfschütteln wies der Magistrat Sanos Einwand zurück.
»Für einen Mann in Eurer Position ist ein Reisebegleiter erforderlich«, sagte er streng. »Um die Kosten braucht Ihr Euch nicht zu kümmern.«
Plötzlich begriff Sano. Ogyū schickte Tsunehiko als Spion mit auf die Reise! Sofort keimten Sanos Verdächtigungen wieder auf, was die Motive Ogyūs betraf, und er bedauerte, seine Reisepläne so offen dargelegt zu haben. Aber jetzt war es zu spät für Selbstvorwürfe.
»Bitte, kommt herein, Sano -san «, sagte Ogyū mit einem gütigen Lächeln. »Ich werde zwei amtliche Reisepässe ausstellen und Euch das Geld für die Unkosten geben, die Euch durch den Schreiber entstehen. Dann solltet Ihr am besten sofort zu ihm gehen und ihn anweisen, alles für die Reise vorzubereiten.«
Sano unterdrückte seinen Zorn, als er nun beobachtete, wie Tsunehiko wieder auf seinen schwarzen Klepper stieg. Der Schreiber stellte einen Fuß in den Steigbügel und zog sich in die Höhe, bis er schnaufend und prustend bäuchlings auf dem Sattel lag.
»Ruhig.« Sano zerrte an den Zügeln, als das Pferd zu bocken begann, während Tsunehiko sich abmühte, eine aufrechte Sitzhaltung einzunehmen. »Würdest du nicht so viel trinken«, sagte Sano zu dem Dicken, »müßten wir nicht so oft anhalten.«
Der Tadel schien Tsunehiko nicht zu stören. Strahlend erwiderte er: »Aber yoriki Sano -san! Das Reiten macht mich durstig. Und hungrig.« Wieder nahm er einen Schluck Wasser aus seiner Reiseflasche; dann zog er aus der prall gefüllten Satteltasche ein Paket getrocknete Pflaumen hervor, steckte sich eine Handvoll in den Mund und kaute genüßlich; seine dicken Wangen wölbten sich um den lächelnden Mund. »Die Reise macht mir einen Riesenspaß. Vielen Dank, daß Ihr mich mitgenommen habt!«
Sano verbarg sein Lächeln, als sie die Pferde wieder antrieben. Er konnte Tsunehiko einfach nicht böse sein; erst recht nicht, wenn ein Tag so strahlend schön und verheißungsvoll war wie heute. Außerdem tat er das Richtige; da war er sicher. Bald würde auch Ogyū es einsehen und Sanos Bemühungen zu würdigen wissen – vorausgesetzt natürlich, der Magistrat verschleierte nicht mit Absicht ein Verbrechen, sondern versuchte lediglich, den Nius einen Schmerz zu ersparen, der ihm überflüssig und ungerechtfertigt erschien.
Auch Sanos Erinnerung an seine Auseinandersetzung mit Fürst Masahito verblaßte und beunruhigte ihn nicht mehr so sehr. Allmählich begann er die Gesellschaft des stets frohgelaunten Tsunehiko zu genießen; er fiel sogar in ein Lied ein, das der Schreiber anstimmte.
Es ist alles gar nicht so schlimm, wie du gedacht hast, sagte er sich. Du kannst dafür sorgen, daß Tsunehiko nichts über den wahren Grund der Reise erfährt; und du wirst es schon irgendwie einrichten, daß der Schreiber dich nicht zum Kannon-Tempel begleitet.
Obwohl auf der Tōkaido zu dieser Jahreszeit weniger Verkehr herrschte als im Frühling oder im Sommer, konnten Sano und Tsunehiko sich über Mangel an Mitreisenden nicht beklagen. Sie kamen an zwei schweren, mit Bauholz beladenen Karren vorbei, die von Ochsen gezogen wurden. Das Holz war Regierungseigentum; nur deshalb durfte es mit einem Karren transportiert werden. Für alle anderen Gefährte war die Fernstraße gesperrt; auf diese Weise wollten die Tokugawas den Transport großer Mengen von Munition, Waffen und Kriegsmaterial verhindern. Bauern eilten umher und sammelten Blätter, Äste und Pferdedung ein, um es als Brennmaterial zu benutzen. Hin und wieder kam ihnen ein wohlhabender Reisender entgegen, der in einem schwankenden, auf und nieder hüpfenden kago saß, einem korbähnlichen Stuhl, den muskulöse Burschen auf den Schultern trugen; die Kimonos der Träger standen offen und gewährten den Blick auf prachtvoll tätowierte Oberkörper und Beine. Reisende Händler, die ihre Waren auf dem Rücken schleppten, gingen mit müden, schwerfälligen Schritten ihres Weges. Eine Gruppe von Pilgern zog singend und klatschend zu irgendeinem Heiligtum oder Tempel. Bettler spielten auf ihren Holzflöten, um ein paar Münzen zu erhaschen. Dann und wann tauschten Sano und Tsunehiko Grußworte mit anderen Samurai; einige ritten in dem gemächlichen Tempo, das auf einer langen Reise erforderlich war; andere, die kurze Strecken zu bewältigen hatten, preschten im Galopp über die Fernstraße.
Schließlich gelangten sie nach Shinagawa. In
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