Der Kirschbluetenmord
gekommen war – sagte Fürst Niu: »Ach ja, Eii -chan. Du kannst ihn jetzt loslassen.«
Eii -chan gehorchte. Vorsichtig entspannte Sano die Schultern und den Arm. Es schien nichts gebrochen zu sein, doch seine Muskeln schmerzten. Zorn loderte in ihm auf – nicht auf Eii -chan, den er eher als lebendes Werkzeug denn als Menschen betrachtete, sondern auf den jungen Fürsten, der Sanos Schmerz und Demütigung schon eher hätte beenden können. Doch Masahito hatte mit Absicht darauf verzichtet, wie das boshafte Funkeln in seinen Augen verriet. Am liebsten hätte Sano ihm dieser Beleidigung wegen gründlich die Meinung gesagt, hätte ihm Anschuldigungen und Drohungen entgegengeschleudert. Doch er schwieg, denn er dachte an ein Zitat Tokugawa Ieyasus, das er sich zu Herzen nehmen wollte: »Betrachte den Zorn als deinen Feind.« Er durfte sich von seiner Wut nicht zum Leichtsinn verleiten lassen.
»Was habt Ihr hier eigentlich zu suchen?« fragte Fürst Niu.
Sano schluckte seinen Zorn hinunter und antwortete mit einer höflichen Lüge. »Ich wollte Eurer Familie meine Achtung erweisen«, sagte er.
Fürst Niu grinste ihn hämisch an. »Wollt Ihr damit sagen, Ihr habt Eure lächerlichen Nachforschungen über den unglückseligen Todesfall in unserer Familie eingestellt?«
»Es sei denn, ich finde den Beweis, daß meine Nachforschungen ganz und gar nicht lächerlich sind.« Sano konnte nicht widerstehen, einen Gegenangriff zu führen: »Vielleicht könnt Ihr mir diesen Beweis liefern.«
Für einen Augenblick runzelte Fürst Niu die Stirn. War es Bestürzung oder lediglich Verärgerung? »Das kann nicht Euer Ernst sein. Einen solchen Beweis gibt es nicht. Und falls es ihn gäbe – wie kommt Ihr darauf, daß ausgerechnet ich ihn besitze?«
War dieses nachdrückliche Leugnen nur ein Hinhalten? Wollte Fürst Niu sich auf diese Weise Zeit verschaffen, seine Gedanken zu ordnen? Vielleicht, sagte sich Sano, kannst du den Sohn des Daimyō zu einer unbedachten Äußerung verleiten.
»Noriyoshi hatte nicht nur Verbindungen zu Yukiko, sondern auch zu einem anderen Angehörigen Eurer Familie«, sagte er.
Doch Fürst Niu hatte seine Selbstsicherheit bereits wiedergewonnen. Statt auf Sanos Frage einzugehen, sagte er zu Eii -chan: »Geh zurück zur Totenfeier. Ich glaube, yoriki Sano findet allein nach Hause.«
Ohne ein Wort zu sagen, drehte Eii -chan sich um und stieg die Stufen hinunter. An Sano gewandt, sagte der junge Fürst: »Solltet Ihr unserem Anwesen oder einem Familienangehörigen noch einmal zu nahe kommen, kann ich nicht für Eure Sicherheit garantieren. Eii -chan und unsere anderen Gefolgsleute reagieren sehr unwillig, wenn jemand sich unbefugt Zutritt verschafft oder ohne Erlaubnis mit unserer Dienerschaft redet.«
Seine Stimme war gelassen, doch in seinen hellen Augen lag ein boshaftes Funkeln. Sano verstand die verschleierte Drohung: Sollte er sich noch einmal den Nius nähern, würde man ihn töten.
»Wie ich sehe, habt Ihr meinen Rat richtig verstanden«, sagte Fürst Niu. »Vielleicht seid Ihr doch nicht so dumm, wie ich geglaubt habe. Vielleicht seid Ihr einfach nur dreist. Aber Ihr seid offenbar fähig, Eure Lektionen zu lernen.« Ein herablassendes Lächeln umspielte seine Lippen, während er Sano fest in die Augen blickte. »Lebt wohl, yoriki. Ich verlasse mich darauf, daß wir uns nie wiedersehen.« Er stieß sich vom Brückenpfosten ab und stieg langsam die Treppe zum Flußufer hinunter, in straffer Haltung, den Kopf hoch erhoben.
Das glaubst du auch nur, dachte Sano entschlossen, als er dem jungen Fürsten nachschaute. Der Groll und das Gefühl der Demütigung brannten dumpf in seinem Blut, wie schlechter Wein. Seine Hand bewegte sich zum Schwert und umklammerte den Griff der Waffe mit der ganzen Kraft seiner Wut auf den jungen Fürsten, der ihm nun einen weiteren Grund gegeben hatte, noch intensiver als bisher der Frage nachzugehen, welche Rolle die Nius bei den Morden gespielt hatten.
Plötzlich wandte der Fürst sich um. »Ach, übrigens«, rief er, »ich an Eurer Stelle würde mir gar nicht erst die Mühe machen, nach Midori zu suchen. Meine Mutter hat sie zum Kannon-Tempel nach Hakone ins Kloster geschickt.« Lachend setzte er seinen Weg fort.
Sano beobachtete, wie Fürst Niu sich wieder zu den Trauernden am Scheiterhaufen gesellte. Die Flammen waren niedergebrannt, doch immer noch stieg Rauch aus der schwelenden Glut. Als Sano sich auf den Weg in Richtung Stadtzentrum machte, stieg plötzlich
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