Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Klabautermann

Der Klabautermann

Titel: Der Klabautermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
Blick erkannte sie, daß der Mensch einen Bierseidel in der Hand hielt, dessen Henkel durch eine Schnur mit seinem Handgelenk verbunden war.
    Noch ehe sie fragen konnte, was der Herr wünsche, sagte Hallinsky: »Baronin, wir sollten Freude und Leid miteinander teilen.«
    »Junger Mann, ich könnte Ihre Mutter sein«, antwortete die Baronin.
    Sonnenstichige soll man wie Verrückte behandeln. Aber auch Hallinsky war über diese Reaktion so verblüfft, daß er voll in die Gedankengrube stolperte.
    »Pardon, ich bin fünfzig Jahre alt.«
    »Und ich zweiundsiebzig. Ich hätte mit zweiundzwanzig Jahren spielend Ihre Mutter sein können.«
    »Darum geht es nicht, Baronin.« Hallinsky sah sie betroffen an. Das hat noch keiner so deutlich bemerkt wie ich, dachte er. Sie verkalkt. Ich will sie doch nicht zur Mutter haben! Man muß ihr das ganz schonend beibringen, sonst begreift sie's gar nicht. »Wir sollten uns gemeinsam um den kleinen netten Kobold kümmern.«
    Die Baronin erstarrte, setzte sich ruckartig hoch und warf einen beinahe tödlichen Blick auf Hallinsky. »Ich verbitte mir solche Obszönitäten!« sagte sie hart. »Bitte gehen Sie, mein Herr.«
    »Hallinsky. Eduard Hallinsky.«
    »Wie Sie heißen, interessiert mich nicht. Wenn Sie nicht gehen, rufe ich Jean.«
    »Zwischen uns muß ein schreckliches Mißverständnis entstanden sein«, sagte Hallinsky unbeirrt. Sein phänomenales Anlageberater-Talent, andere zu überreden, brach wieder durch. »Ihnen hat man zweimal den Liegestuhl entführt, mir zweimal das Bier ausgetrunken. Insofern sind wir über eine gemeinsame böse Erfahrung sozusagen verwandt.«
    »Das ist sehr hypothetisch ausgedrückt!« unterbrach ihn die Baronin kalt.
    »Sowohl Sie selbst als auch ich hatten bis heute keine Erklärung dafür, wie so etwas möglich ist.«
    »Was heißt ›bis heute‹. Wissen Sie heute mehr?«
    »So ist es, Baronin. Das Dunkel lichtet sich.«
    »Und wo ist der Sonnenstrahl?«
    »Sie werden mich auslachen, aber ein Hinweis ist mir eben geliefert worden. Wir haben einen Klabautermann an Bord.«
    Es mochte sein, daß die Baronin noch nie etwas von einem Klabautermann gehört hatte; viel näher aber lag es, daß sie Hallinsky für einen noch aufrecht stehenden Betrunkenen hielt. Sie zeigte keinerlei Wirkung oder Regung. Nur ihre Augenwinkel zuckten, aber das bemerkte Hallinsky nicht.
    »Wie schön!« sagte sie nach langem Zögern.
    »Schön nennen Sie das?«
    »Sind Klabautermänner, die Bier trinken, nicht niedlich?«
    »Nicht mein Bier, Baronin. Und was ist mit Ihrem Liegestuhl?«
    »Jetzt, wo ich weiß, daß es ein kleiner Kobold war, verzeihe ich ihm.« Betrunkene muß man vorsichtig anfassen, dachte sie und versuchte ein mildes Lächeln. Man weiß nie, wie sie reagieren. Man unterscheidet da drei Kategorien von Männern: Die einen werden lustig und beginnen zu singen, die anderen entwickeln sich zu Grobianen, die dritten verblöden schlechthin. Dieser Hallinsky muß zur zweiten Gruppe gehören. Also Vorsicht. »Wer hat denn den Klabautermann entdeckt?«
    »Die Schiffsleitung.«
    »Ah!«
    Die Baronin wurde unsicher. Hätte Hallinsky gesagt: ›Ich!‹, so wäre alles klar gewesen. Aber er sagte ›Die Schiffsleitung‹, und damit geriet das Lächerliche in den Bereich der Tatsachen. Ein Mann wie Kapitän Hellersen war über jeden Zweifel erhaben.
    »Sie haben mit dem Kapitän gesprochen?« fragte die Baronin, sichtlich freundlicher.
    »Mit Beatrice. Aber man soll darüber totales Stillschweigen bewahren.«
    »Und Sie posaunen es hinaus.«
    »Nur zu Ihnen, als Mitbetroffene. Ich rechne mit Ihrer Diskretion.«
    »Die ist Ihnen sicher.«
    »Danke, Baronin.« Hallinsky sah sich um. Nirgendwo ein freier Stuhl. Sich vor der Baronin auf die Planken zu setzen, war ihm zu dumm. Auch der Rand ihres Liegestuhles war nicht der richtige Platz. Aber unter dem Vordach des Sonnendecks waren an einigen Tischen noch einige Stühle frei; dort saßen die Passagiere, die dem ›In-der-Sonne-Braten!‹ nichts abgewinnen konnten oder es satt hatten, Kaffee, Kuchen und Getränke vom Liegestuhl aus über ihren Körper zu balancieren. »Darf ich Sie zu einem Täßchen Kaffee und einem Kuchen einladen?«
    »Ausnahmsweise.« Die Baronin erhob sich, warf sich einen langen, wallenden Umhang um, bedruckt mit Klatschmohnblüten, und folgte Hallinsky an einen der Tische. Als sie saß, war ihr Hallinsky bereits ein klein bißchen sympathisch. Betrunken war er nicht, das hatte sie festgestellt. Die Schnur

Weitere Kostenlose Bücher