Der Klabautermann
tief Luft; die Wirkung seiner Worte auf Lotte Ahlers war enorm. Sie hatte die Brille abgenommen und starrte ihn entsetzt an. »Das ist doch nicht normal!« sagte Hallinsky als Krönung. »Das kann mir doch keiner einreden …«
»Es gibt keinen Klabautermann!« Peter Ahlers bemerkte, wie Lotti leicht zu zittern begann und verfluchte innerlich seinen Leichtsinn, ausgerechnet Hallinsky anzusprechen. Aber nun mußte man Lottis gestörtes seelisches Gleichgewicht wieder aufrichten. »Er entstammt einem alten Volksglauben, damals, als noch die Segelschiffe aus Holz über die Meere fuhren. Dieser Kobold begleitete die Schiffe auf großer Fahrt und mahnte durch Klopfen die Mannschaft, den hölzernen Schiffsleib auszubessern und mit Teerstricken abzudichten. Und er zeigte den Untergang eines Schiffes an.« Er strich Lotte begütigend über den Schenkel und hob etwas die Stimme: »Wir haben keinen hölzernen Schiffsleib mehr, und wir sind unsinkbar. Keine Angst, mein Schatz! Es ist nur ein Märchen wie Hänsel und Gretel …«
Peter Ahlers kannte Hallinsky nicht. Ein Hallinsky gab nie auf, das war seine Stärke als Anlageberater. Je mehr Gegenargumente, um so mehr wuchs seine Überredungskraft.
»Das sagen Sie!« rief er und ließ damit Lotti zusammenzucken. »Aber wenn Sie genau darüber nachdenken, was hier an Bord schon alles passiert ist … was Ihnen selbst passiert ist …«
»Genug!« Ahlers richtete sich auf und nahm eine drohende Haltung ein. »Bitte, regen Sie meine Frau doch nicht auf mit Ihrem unfundierten Gerede. Ein Klabautermann! Das war doch nur ein Witz von Beatrice. Wenn Sie's glauben, ist das Ihr Privatvergnügen.«
»Wie Sie wollen.« Hallinsky verbeugte sich knapp vor der stummen Lotti, die ihn mit geweiteten Augen ansah. »Wir werden sehen … wir werden es ja sehen …«
»Ein ekelhafter Kerl!« sagte Peter Ahlers, als Hallinsky weiterging. »Schatz, vergiß, was er gesagt hat. So ein Blödsinn!«
»Aber der Knoten im Schal, Peter – oben bei den Rettungsbooten …« Sie atmete heftig und verbarg nicht, daß die Existenz eines Klabautermanns für sie etwas Reales hatte. »Du kannst es doch auch nicht erklären.«
»Ich könnte diesen Kerl ohrfeigen!« knirschte Ahlers. »Einen Augenblick, Schatz.«
Er sprang auf und lief dem Ersten Offizier entgegen, der gerade das Sonnendeck betreten hatte und an der Außenbar ein Bier bestellte. Das war zwar nicht üblich, aber der Kapitän war weit weg auf der Brücke und sah es nicht.
»Ich habe eine Frage«, sagte Ahlers, als er neben Hartmann stand und winkte dem Barsteward, ihm auch ein Pils zu zapfen. »Gibt es einen Klabautermann?«
Hartmann stutzte etwas, dann lachte er und hob sein Glas hoch. »Natürlich nicht. Warum?«
»Es heißt, die Schiffsführung sei davon überzeugt, daß ein Klabautermann an Bord ist.«
»Wer sagt das?«
»Es geht ein Raunen durch die Passagiere …«
»Wissen Sie, was eine Latrinenparole ist?«
»Ich war zwar nie beim Militär, aber ich kenne den Ausdruck.« Ahlers blieb ernst, das lachende Gesicht des Ersten Offiziers regte ihn jetzt auf. »Außerdem hat es Beatrice bestätigt.«
»Beatrice? Unsere Chefstewardeß?«
»Genau die. Woher sollten wir sonst wissen, was uns die Schiffsleitung vorenthalten will.«
»Aber das ist doch absoluter Blödsinn! Und Sie und alle anderen glauben das wirklich?« Hartmann lachte noch einmal auf. »Darf ich fragen: Glauben Sie auch noch an den Osterhasen?«
»Danke.« Ahlers stellte sein Bier ungetrunken auf die Theke zurück. »Ich glaube, es ist Ihre Pflicht als Offizier, keine Unruhe auf dem Schiff aufkommen zu lassen. Meine Frau ist jedenfalls verängstigt worden, das nehmen Sie bitte zur Kenntnis. Natürlich gibt es für mich keinen Klabautermann, aber erklären Sie mir bitte, wie ein Seidenschal auf einen Davit fliegen kann und sich dort verknotet!«
Ohne eine Antwort Hartmanns abzuwarten, ging Ahlers zurück zu seinem Liegestuhl, küßte Lotti auf die Stirn und sagte fast väterlich:
»Mein Schatz, auch der Erste Offizier sagt: Alles Dummheit. Zum Lachen …«
Aber in ihren Augen sah er, daß sie ihm nicht glaubte.
Man sollte diesem Hallinsky wirklich eine Ohrfeige geben!
Wenn plötzlich ein massiger Gegenstand vor einem steht und das Licht abdunkelt, blickt selbst der angestrengteste Leser hoch. So war auch die Baronin verwundert, daß ein dicklicher Mann vor ihrem Liegestuhl verweilte – so nahe, daß sie meinte, einen Biergeruch zu erkennen. Erst beim zweiten
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