Der Klabautermann
herum … er … er tanzt! Der Klabautermann tanzt …«
Der Wachhabende nickte wieder. Neben ihm, der Rudergänger, grinste breit.
»Das ist seine Spezialität«, sagte Lüders beruhigend. »Wenn er sich freut, tanzt er immer auf dem Signalmast. Wir sehen schon gar nicht mehr hin.«
»Ich habe ihn ganz deutlich gesehen!« rief von Sollner. Er war auf einmal nüchtern und fühlte sich zu Unrecht angeblödelt. »Ein massiger Körper. Oder denken Sie, ich sei so sinnlos betrunken? Ich bin putznüchtern, von Sollner, mein Name. Der Kapitän wird Ihnen sagen, wer ich bin. Ich habe ein Recht, in solcher Situation ernstgenommen zu werden.«
Für Hartmut Lüders wurde die Sache nun peinlich. Ein Betrunkener ist nie betrunken, wenn man ihn fragt, und nichts reizt ihn mehr, als wie ein Betrunkener behandelt zu werden. Ob er nun Meier heißt oder von Sollner, das bleibt sich gleich.
»Ich werde es morgen früh – heute früh – dem Kapitän melden, Herr von Sollner«, sagte Lüders beruhigend. »Bitte gehen Sie in Ihre Kabine und legen Sie sich hin. Und schlafen Sie gut.«
»Es war der Klabautermann!« beharrte von Sollner eigensinnig. »Warum unternehmen Sie jetzt nichts?«
»Klabautermänner sind Kapitänssache«, sagte Lüders, ohne die Miene zu verziehen. Nur der Rudergänger mußte sich abwenden und tat so, als starre er auf den Radarschirm. »Wir werden Ihre Beobachtungen sehr ernst nehmen, Herr von Sollner …«
»Danke.« Von Sollner verließ die Brücke, blieb an der Nock stehen und starrte noch einmal hinauf zum Signalmast.
Nichts. Nur die flatternden Wimpel, die drehenden Radarbalken, darüber der nachtschwarze Himmel. Wo war die unheimliche Gestalt?
Er stieß sich von der Nock ab, taumelte die Treppe hinunter und rannte von Deck.
Wenn der Chief eines Schiffes – also der Chefingenieur – in größter Aufregung durch die Gänge rennt, könnte man annehmen, daß entweder ein Sinken kurz bevorsteht oder die Maschinen explodiert sind. Der Chief ist übrigens der wichtigste Mann an Bord; ohne ihn läuft nichts. Wenn die Maschine versagt, ist das luxuriöseste Schiff nichts als ein dümpelnder Eisenkasten. Erst ein Schiff, das fährt, ist ein richtiges Schiff.
Chief Fritz Tölle war ein Mensch, der sich normalerweise durch nichts aus der Ruhe bringen ließ. Selbst ein Schraubenbruch war verdaubar; man hatte ja zwei Ersatzschrauben an Bord. Aus seinem Phlegma aber wachte Fritz Tölle regelmäßig und gründlich auf, wenn die Bordbälle stattfanden, die Offiziere ›Tischdienst‹ hatten und vor allem alleinreisende Damen betreuen sollten. Chief Tölle war ein Meister im Tanzen, walzte und swingte, rockte und foxtrottete über das Parkett und ertanzte sich bei den Damen den Ruf eines Draufgängers. Das ging so weit, daß einige Damen ihm ihre Kabinennummer ins Ohr flüsterten, aber Tölle vergaß sie meistens bewußt, wenn der letzte Tanz beendet war und der Ball gruppenweise in den Bars fortgesetzt wurde. Man beachte ›meistens‹ … manchmal wurde auch Tölle schwach, aber so unverbindlich, daß man sich am nächsten Tag auf Deck distinguiert begrüßte und wieder ›Sie‹ nannte.
Es war in all den Jahren nie bekannt geworden, daß sich der Chief in der Nähe eines Skandals oder auch nur einer Eifersuchtsszene bewegt hätte. Um Tölle war immer Ruhe.
Um so mehr fiel es auf, daß der Chief nun in heller Aufregung zum Hauptdeck rannte und dort mit Kapitän Hellersen zusammenstieß, der gerade aus dem Oberzahlmeisterbüro kam. Er war barhäuptig, und das blonde Haar war etwas zerwühlt.
Verblüfft blieb Hellersen an der Tür stehen. Nanu, ein Offizier ohne Mütze? Und ausgerechnet Tölle? Das kannte man bei ihm gar nicht. Für ihn war es selbstverständlich: Ein Offizier im Dienst trägt immer eine Mütze. Und ein Offizier an Bord ist immer im Dienst!
»So aufgeregt, Chief?« sagte Hellersen vorsichtig. »So schlimm, daß Sie Ihre Mütze vergessen haben?«
Tölle stoppte abrupt seinen Lauf und rief in heller Aufregung:
»Ich habe Sie gesucht, Herr Kapitän. Zu Ihnen wollte ich … Man hat mir meine Mütze geklaut.«
»Was hat man?« fragte Hellersen ungläubig.
»Meine weiße Mütze. Aus der Kabine …« Der Chief schnappte nach Luft wie ein an Land geworfener Fisch. »Hing immer am Haken, hinter der Tür … Jetzt ist sie weg, einfach weg. Ich komme von der Maschine herauf, will an Deck, greife zum Haken – die Mütze ist weg. Herr Kapitän, das ist doch ein Irrsinn! Wer klaut denn die Mütze
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