Der Klabautermann
vom Chief? Was will er denn damit?«
»Das fragen Sie mich?« Hellersen sah Tölle mit einer Mischung aus Schadenfreude und Nachdenklichkeit an. »Vielleicht ein Andenkensammler. Oder eine Frau, die sich in Sie verliebt hat – so was soll's ja geben – und nun Ihre Mütze als Fetisch mitnahm. Was weiß ich … bei Ihrem Damenverschleiß!«
»Das ist mir noch nie passiert.« Der Chief fuhr sich mit beiden Händen über die Haare, als könne er damit seine verschwundene Mütze wieder herbeizaubern. »Wer weiß denn, wo meine Kabine liegt?«
»Alles ist irgendwann das erstemal. Sie haben doch sicherlich noch eine zweite weiße Mütze.«
»Drei, Herr Kapitän. Und drei blaue. Aber ich frage, wer …«
»Wir fragen uns alle, Chief, was auf dieser Fahrt plötzlich mit dem Schiff los ist.« Hellersen schüttelte den Kopf. »Wir vermuten einen ›Blinden‹ an Bord.«
»Das weiß ich. Aber was will ein ›Blinder‹ mit einer Offiziersmütze?«
»Das verhärtet immer mehr den Verdacht, daß es sich um einen Verrückten handeln muß. Vieles deutet darauf hin. Ihre gestohlene Mütze paßt genau in das Bild. Aber wir kriegen den Burschen bis Singapur. Ich lasse keinen Winkel des Schiffes undurchsucht. Und nun, Chief, trinken Sie einen Whisky und verbreiten Sie nicht Ihr Schicksal über alle Decks.«
Hellersen ließ den schwer atmenden Tölle stehen, wandte sich um und betrat wieder das Zahlmeisterbüro.
Herbert Losse war gerade dabei, die Abrechnungen der Bars in einen Buchungscomputer einzugeben und blickte erschrocken auf, als Hellersen hereinkam. In der Art, wie der Kapitän die Tür zuwarf, erkannte er eine explosive Stimmung.
»Haben Sie noch etwas vergessen, Herr Kapitän?« fragte er vorsichtig.
»Eben rannte der Chief schnaubend durchs Schiff. Man kann schon sagen: mit Mordlust in den Augen.«
Weil Hellersen kurz auflachte, wagte Losse eine lockere Bemerkung.
»Ärger mit den Frauen?«
»Den würde er wegstecken wie einen Schraubenschlüssel. Nein! Jemand hat ihm seine Mütze geklaut. Aus der Kabine, sagt er. Vom Haken. Völliger Blödsinn.« Hellersen setzte sich auf die Kante des Schreibtisches und tippte mit dem Zeigefinger mehrmals auf einen Berg von Abrechnungen. »Sie wissen doch alles, Losse. Was war denn gestern nacht in den Bars noch los? Vielleicht liegt die Mütze da irgendwo in einer Ecke oder hinter einem Sessel.«
»Dann wäre sie beim Aufräumen und Putzen längst gefunden worden.« Losse starrte den Kapitän sehr ernst an. »Wieder so ein Fall, Herr Kapitän. Der paßt in die Reihe.«
»Ja und nein, Losse. Eine Mütze …?«
»Erst war's der Schal, dann ein Liegestuhl, jetzt die Mütze vom Chief … So vollkommen idiotisch kann kein ›Blinder‹ sein!« Losse holte tief Luft. »Ich muß Ihnen etwas sagen, Herr Kapitän.«
»Ja. Bitte.«
»Nicht nur die Mannschaft, auch die Passagiere glauben: Wir haben den Klabautermann an Bord …«
Einen Augenblick war es völlig still im Zimmer. Was da plötzlich im Raum stand, mußte erst begriffen werden. Aber dann zog Hellersen plötzlich das Kinn an, und Losse wußte: Jetzt hört der Spaß auf.
»Ein Klabautermann …«, sagte Hellersen gedehnt. »Sieh an, sieh an … Und Sie sagen das im Brustton der Überzeugung. Sie, Losse, als alter Fahrensmann! Wer hat denn diesen Unsinn aufgebracht? Klabautermann!«
»Ich … ich möchte darüber nicht sprechen, Herr Kapitän.« Losse zögerte und starrte auf seinen Computer. Hätte ich doch die Schnauze gehalten, dachte er, wütend auf sich selbst.
»Losse!« Hellersen beugte sich zu ihm hinunter. »Wieviel Jahre fahren wir zusammen? Und auf einmal wollen Sie tote Fliege spielen? Wer hat den Klabautermann in Umlauf gesetzt?«
»Beatrice, Herr Kapitän. Aber sicherlich nur, um …«
»Beatrice sofort zu mir! In die Kapitänskabine. Sofort!«
Das war der Ton, den alle an Bord fürchteten. Die abgehackte, zackige Sprache, bei der es keine Diskussionen mehr gab. Losse nickte stumm, griff zum Telefon und gab den Auftrag an den Obersteward weiter. Beatrice sofort zum Kapitän!
Er zuckte zusammen, als Hellersen das Büro verließ und mit besonderer Wucht die Tür ins Schloß warf. Jetzt haben wir den Taifun an Bord, dachte er. Ich müßte mich auf die Zunge beißen, um sie zu bestrafen.
Wer ohne ersichtlichen Grund zum Kapitän gerufen wird – auch noch sofort – nimmt auf keinen Fall an, daß dies wegen eines Lobes geschieht. Sofortiges Erscheinen beim Kapitän ist immer verbunden mit
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