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Der Klabautermann

Der Klabautermann

Titel: Der Klabautermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Mütze ab. Er schwitzte jetzt. »Daran könnte ich mich auch nicht gewöhnen.«
    Der Satz hatte etwas Prophetisches an sich. Das zeigte sich in der kommenden Nacht.
    Wieder war ein Bordfest vorbei, diesmal mit einem Gastspiel der Operettensängerin Lydia de Santos und anschließendem Tanz in den neuen Tag. Jens Hartmann hatte sich intensiv um einen Single gekümmert – so nennt man die Alleinreisenden, die an Bord beschäftigt werden wollen. Sofern sie weiblichen Geschlechts sind, werden sie vor allem von den Offizieren und dem Schiffsarzt betreut, vorausgesetzt, diese Einsamen stehen noch in einem Alter, in dem Abenteuer möglich sind. Nach einer Serie von Tänzen hatte sich Hartmann für ein paar Minuten entschuldigt und war auf das Promenadendeck gegangen, um Luft zu holen. Er stellte sich an die Reling, hielt den erhitzten Kopf in den warmen Fahrtwind und blickte über das im Mondlicht glitzernde Meer. Welch eine herrliche Tropennacht! Wie immer ein unendlicher Sternenhimmel, ein schwarzes Meer mit silbernen Streifen, eisblaue Gischt vom Bug her. Am Horizont das Bild, als fielen die Sterne in den Ozean. Dazu das leise Rauschen, wenn der Kiel die Wellen durchschnitt, sonst Stille, weite Einsamkeit, ein Alleinsein mit der Ewigkeit.
    Hartmann stieß sich von der Reling ab, fuhr sich mit den Händen über seine Haare und begann, unter den Rettungsbooten hin und her zu laufen. Einmal Promenade hin, einmal Promenade her, so wie morgens die Passagiere beim alltäglichen Training mit der Stewardeß unter dem Motto: Laufe einen Kilometer. Dabei atmete er tief die frische Luft ein und dachte daran, daß er gleich wieder in den Festsaal gehen müsse, um seine Kavalierspflicht zu erfüllen und Anita Borghardt, eine gut proportionierte Mittdreißigerin, zu unterhalten. Das bedeutete wieder schweißtreibende Tänze, denn Anita war ein Mädchen, das sofort die Lippen spitzte und schnalzte, wenn die Bordkapelle, eine Sieben-Mann-Band, zu einer neuen Tanzrunde aufspielte.
    Beim dritten Lauf über die Promenade, etwa in der Mitte, unter dem Rettungsboot Nummer 6, bekam Jens Hartmann plötzlich einen gewaltigen Schlag auf den Kopf. Einen Augenblick wirklich betäubt, ging er sofort auf die Planken, spürte einen schweren, dicken Gegenstand auf Kopf und Körper, schob benommen das Gewicht von sich, wälzte sich zur Seite und zog sich an der Reling hoch. Taumelnd hielt er sich am Handlauf fest, schüttelte die Benommenheit von sich und starrte dann auf den Gegenstand, der ihn umgeworfen hatte. Es war eine dicke Taurolle, die zwischen den Rettungsbooten gehangen hatte und für den Noteinsatz gedacht war. Unmöglich, daß sie sich von selbst aus der Halterung gelöst hatte, vor allem nicht bei der völlig ruhigen See.
    Hartmann stieß sich von der Reling ab und machte einen Sprung an die Bordwand. Von hier aus konnte man nach oben zu den Davits blicken und auf den schmalen Gang vor den Offizierskabinen.
    Aber da war nichts … Hartmann war völlig allein auf dem Promenadendeck, allein mit seinem brummenden Schädel.
    Eine kochende Wut überkam ihn. Er verstand jetzt Hellersen sehr gut und ballte die Fäuste.
    »Jetzt stinkt's mir aber!« schrie er zu den Rettungsbooten hinauf. »Na warte, Junge! Dich kriegen wir! Ich stelle das ganze Schiff auf den Kopf. Sofort!«
    Er schlug die Fäuste zusammen, spürte noch immer einen dumpfen Druck auf dem Kopf und verließ etwas taumelig das Promenadendeck.
    Ihm war, als höre er irgendwo ein höhnisches Lachen.
    Ein Schiffsarzt wird von vielen, die noch wenig See-Erfahrung haben, beneidet. Er erlebt die Welt, wo sie am schönsten ist, kennt alle Häfen, trägt in den Tropen eine weiße Offiziersuniform mit drei goldenen Armeistreifen, bricht die Herzen unzähliger Frauen an Bord, ist der Playboy der Mannschaft und hat unten in seinem Hospital kaum etwas zu tun – denn wer will schon krank sein, wenn er durch die herrliche Inselwelt des Pazifik fährt. Und für das alles wird er auch noch bezahlt. Ein Traumjob!
    Dr. Lutz Schmitz, der Bordarzt auf diesem Luxusliner, sah das alles ganz anders. Und wer einmal nur eine Woche lang im Schiffshospital gearbeitet hat, gibt ihm recht. Da ist ein ständiges Kommen und Gehen, denn 600 Passagiere und 350 Mann Besatzung sind nie so kerngesund wie sie sein möchten und verhindern es, daß der Schiffsarzt den ruhigsten Dienst an Bord versieht. Von Augentropfen bis zum Kreislaufkollaps, vom verstauchten Bein bis zum entgleisten Diabetes, vom vereiterten Zahn bis

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