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Der Klabautermann

Der Klabautermann

Titel: Der Klabautermann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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neue potente Geldanleger meinte, denen er Schloßwohnungen oder Schiffsbeteiligungen aufgeredet hatte. Von den Abschlüssen, die seine Vertreter hereinbrachten, sprach er nicht. Wer Millionen Mark, die ihm nicht gehören, in Steuerabschreibungs-Projekten anlegt, die immer ›einmalig‹ sind, wenn man Hallinsky zuhörte, der erwähnt im trauten Familienkreis nur die ganz dicken Fische. Dann kam es auch schon mal vor, daß er seiner Frau einen Blumenstrauß mitbrachte. Von dem Armband, das die Sekretärin Moni bekommen hatte, wußte niemand. Die Firma Finanzdiskret war wirklich diskret.
    Ob nun zu Hause in Dortmund oder auf einem Schiff im Urlaub: Es änderte sich nichts, was das Frühaufstehen betraf. Hallinsky wachte automatisch um halb sechs auf, ›protzte‹ ab, holte am Büfett für Frühaufsteher seinen Kaffee und sein Vollkornbrot und setzte dann zu einem einsamen Dauerlauf rund um den Swimmingpool des Schiffes an. Sechs Runden, die Arme angewinkelt, den Kopf hoch erhoben, mit stämmigen Beinen über die Planken donnernd, so begann er den Tag auf dem Ozean, auf der Java-See, auf der Fahrt nach Singapur. Der einzige, der um diese Zeit schon Dienst hatte, war der Decksteward Jean. Wenn er Hallinsky herantraben sah, füllte er schon das Kännchen mit Kaffee.
    An diesem Morgen nun, einem herrlichen Tropenmorgen mit noch bleicher, aber schon warmer Sonne und einem leuchtend blauen Meer, lief er gerade die vierte Runde um den Pool, als er plötzlich nach oben blickte zum Schornstein und den gespannten Seilen, an denen die Glühbirnen hingen und die bunten Fähnchen. Auf See heißt das: Über die Toppen geflaggt.
    Mit einem Ruck blieb Hallinsky stehen, schwer atmend vom Dauerlauf, und starrte hinauf zu den Wimpeln. Jenseits des Pools hatte Jean begonnen, die Liegestühle aufzureihen. In ein paar Minuten stürmten die ersten Passagiere an Deck, um die besten Plätze mit Brillen, Handtüchern oder Büchern zu belegen und dann zum Frühstück wieder unter Deck zu gehen. Das war zwar verboten und wurde jeden Tag im gedruckten Bordprogramm angemahnt, aber wer kann einem Gast schon etwas verbieten, der DM 600,– pro Tag bezahlt?
    Das Lachen kam wie eine Explosion, die Jean zusammenfahren ließ.
    Hallinsky stand, die Arme in die Hüften gestützt, und bog sich vor Lachen. »Phantastisch!« schrie er. »Das ist endlich mal die richtige Flagge für'n Schiff wie dieses!« Dann ging ein Ruck durch seinen Körper, er nahm stramme Haltung an und legte militärisch grüßend die rechte Hand an die Schläfe. »Taratata! Heiß Flagge! Alle Mann ein Lied: ›So leben wir, so leben wir alle Tage …‹«
    Jean, der Decksteward, starrte entgeistert Hallinsky an. Sonnenstich so früh am Morgen schon? Oder noch immer besoffen? Er entschloß sich, das letztere anzunehmen und folgte mit den Augen der rechten Hand Hallinskys, die nach oben zum Schornstein zeigte.
    Aber da erstarrte auch Jean, sein Unterkiefer fiel herunter, und er brauchte einige Zeit, um zu begreifen, was er sah.
    Am Flaggenseil, wo sonst bei ›Über die Toppen geflaggt‹ die bunten Fähnchen hingen, flatterte fröhlich im Fahrtwind – ein Büstenhalter! Rosa Spitze. Sehr sexy. Sehr dekorativ. Schätzungsweise Größe 5, Körbchen C … das ist schon was! Wie aber kommt so eine individuelle Fahne an das Flaggenseil?
    Jean warf sich mit einem Schwung herum und rannte von Deck, um Meldung zu machen. Bevor das Deck bevölkert wurde, mußte die ›Flagge‹ weg! Das war eine Menge Arbeit: Das ganze Flaggenseil mußte eingezogen werden.
    Hallinsky lachte noch immer, er konnte sich kaum beruhigen. Als der Wind jetzt in die beiden Körbchen fuhr und sie aufblähte, als seien sie wirklich gefüllt, klatschte er in die Hände.
    »Was so ein Tanzabend doch alles hinterläßt!« brüllte er, ungeheuer fröhlich. »Alle Mann ein neues Lied … drei … vier. ›Wir lagen vor Madagaskar und hatten die Pest an Bord‹ …« Aber plötzlich, bei dem Wort Pest, wurde er still und wischte sich über das Gesicht. »An Bord …«, sagte er leise. »Verdammt, gibt es etwa doch einen Klabautermann?«
    Er brach seinen morgendlichen Dauerlauf rund um den Swimmingpool ab, setzte sich auf einen Liegestuhl und starrte hinauf zu dem flatternden BH.
    Er konnte nicht erklären, warum; aber auf einmal kam ihm diese außergewöhnliche Flagge unheimlich vor.
    Es kommt selten, ja fast nie vor, daß sich alle Offiziere, Zahlmeister, Oberstewards, Stewardessen und selbst die Schiffsingenieure gemeinsam

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