Der Klabautermann
ist es, was mich dazu bringen könnte, mit dem Kopf gegen die Wand zu rennen!«
»Tun Sie's nicht, Herr Kapitän, denn dann wären Sie das erste Opfer. Hoffen wir auf das, was Kollege Schmitz ansprach: Der blinde Passagier wird durch den Verrückten nervös, der Verrückte durch den blinden Passagier. Jeder wird versuchen, den anderen auszuschalten. Diese Hoffnung hat nur einen Haken, und darum klappt's nicht.«
»Und welchen?«
»Ein Schizophrener kann sich nicht an das erinnern, was er während seiner Bewußtseinsspaltung getan hat. Darum heißt es ja so treffend: Bewußtseinsspaltung. Er erlebt sich abwechselnd in zwei Persönlichkeiten, die sich untereinander nicht kennen. Er wird im normalen Zustand die Taten seines anderen Ich nicht als die seinen erkennen. Er wird im Gegenteil darüber empört oder belustigt sein, wie alle anderen um sich herum. Von der medizinischen Erkenntnis her kann es da keinen Zweikampf geben – falls es sich um einen echten Schizophrenen handelt! Das hat Kollege Schmitz übersehen.«
»Oder gewollt verschwiegen, um uns alle zu beruhigen.« Hellersen hob beide Arme. »Wir drehen uns im Kreis, Dr. Schwengler. Wir kommen immer wieder darauf zurück, daß wir hilflos sind. Und die Zeit verrinnt …«
»Gott sei Dank! In Hongkong können Sie aufatmen.«
»Das sind noch zehn Tage.« Hellersen fuhr sich über die Haare. »Was kann da noch alles passieren!«
»Hoffen wir: Wenig. Das ist immerhin eine reale Hoffnung.«
Hellersen nickte resignierend, und Dr. Schwengler fuhr hinunter zu seiner Kabine, um seine ›liebe Gattin‹ Selma zum Abendessen abzuholen.
Sie war schon wieder tief beleidigt, weil sie nicht wußte, wo ihr Mann war und woher er jetzt kam.
Sie sprach kein Wort mit ihm; Schwengler empfand das als sehr wohltuend.
Nur, als er im Restaurant an ihrem Tisch vorbeiging, fragte sie dicht hinter ihm:
»Wo willst du denn hin?«
»Zu Konsul Fehrenwaldt. Er will meine ›liebe Gattin‹ kennenlernen. Hast du vergessen, daß wir ab heute an seinem Tisch B 15 sitzen?«
»Und das tatsächlich bis Hongkong?«
»Du wirst dich schon daran gewöhnen.«
»Dann habe ich fünfzehn Pfund abgenommen! In Gegenwart dieser Zicke von Frau Konsul schmeckt mir kein Essen mehr.«
»Hervorragend! Eine der besten Abmagerungskuren, die du je gemacht hast. Einen Erfolg hast du dringend nötig.«
Eine tödliche Bemerkung. Selmas Neigung zum Barocken war der ganze Kummer ihrer letzten Jahre. Jedes Jahr eine Kur, jedes Jahr zwanzig Pfund leichter, und jedes Jahr, nach einigen Monaten, waren die zwanzig Pfund wieder drauf.
»Ein größeres Ekel als dich gibt es nicht!« zischte sie ihm in den Nacken. »Damit du's weißt: Die ganze Reise hast du mir jetzt verdorben.«
Danach kam sie an Schwenglers Seite, hakte sich bei ihm unter, zauberte ein fröhliches Lächeln in ihr Gesicht, und so schritten beide – ein stattliches Ehepaar – zum Tisch von Konsul Fehrenwaldt.
Es gehört zu den großen Rätseln in der physischen Natur der Kreuzfahrer, daß sie – von den Landausflügen geschlaucht –, am Ende ihrer Kraft, verschwitzt wie ein Hochofenarbeiter – nach einer Dusche und nach gründlichem Make-up wie neugeboren zum Abendessen erscheinen und nach dem Dinner dann sogar noch im Ballsaal bis Mitternacht die Tanzfläche bevölkern.
Klimatologen behaupten, das bewirke das Seeklima, die Salzluft, der Jodgehalt des Meereswassers – ein Aphrodisiakum, wie es kein Besseres gäbe. Wirkungsvoller als Austern oder Kaviar, Yohimbin oder Strychnin, Vitamin E oder Nashornpulver. Aber Präzises weiß man nicht. Nur die Wirkung ist sichtbar. Es hat – das ist verbrieft – auf diesen Schiffsreisen Greise gegeben, die kamen mit einem Stock humpelnd an Bord und tanzten nach acht Tagen einen rassigen Tango. Später, wieder im heimatlichen Gemäuer, griffen sie erneut zum Stock.
Über dieses Phänomen hat man schon dicke Bücher geschrieben, ohne eine schlüssige Erklärung zu finden. Der Mensch steckt wirklich noch voller ungelöster Rätsel.
Man darf nun nicht behaupten, daß die Baronin von Sahlfelden mit ihren 72 Jahren einen jugendlichen Drall bekam, aber seit dem gemeinsamen Erlebnis mit dem Klabautermann sah man sie jetzt fast immer mit Eduard Hallinsky zusammen. Sie lagen nebeneinander im Liegestuhl, saßen auf Sumatra nebeneinander im Bus, hatten einen gemeinsamen Tisch im Festsaal, aßen an Deck beim Mittagsbüfett und hockten an der Pool-Bar auf den Barstühlen.
Hallinsky konnte erzählen, das war
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