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Der Klang Deiner Gedanken

Der Klang Deiner Gedanken

Titel: Der Klang Deiner Gedanken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Sundin
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das nicht. Natürlich kannst du.“
    J.P. sah ihn skeptisch an.
    Walt zuckte vor Schmerz zusammen und veränderte seine Sitzposition. Sein rechter Arm lag taub, schwer und kalt auf seinem Schoß. „Hör zu, ich weiß, ich habe dich angelogen. Du glaubst gar nicht, wie sehr ich das bereue. Aber in Bezug auf deine Fähigkeiten war ich immer ehrlich. Du bist einer der intelligentesten, fähigsten Männer, die ich je getroffen habe, und ich sitze lieber mit dir in der Patsche als mit der Hälfte der gelernten Piloten da draußen.“
    J.P. schnaubte und sah nach draußen.
    Das war der Grund, warum Walt die Lügen inzwischen hasste wie die Pest. „Hey, gib’s zu: Ich bin niemand, der den Leuten Honig ums Maul schmiert.“
    J.P. nickte widerwillig.
    „Na also. Du wirst diesen Vogel landen.“
    „Hätte aber lieber dich dabei.“ Einer von J.P.s Mundwinkeln wanderte nach oben, und Walt lächelte, dankbar für das kleine Zeichen der Freundschaft.
    „Hier unten ist alles sauber“, rief Al über das Bordsprechgerät aus dem Bug.
    „Danke. Wie sieht’s im Heck aus, Bill?“
    „ Flossie ist splitterfasernackt. Der Einzige, der jetzt noch Übergewicht hat, ist Worley.“
    „Preach, sag Bill, dass ich das gehört habe. Den Kerl knöpf ich mir gleich vor.“
    Walt lachte – ein Fehler. Es kostete zu viel Kraft. Seine Lippen begannen zu kribbeln und ihm wurde schwarz vor Augen. Er legte die Stirn auf das Steuerrad, bis der Schwindelanfall vorbei war.
    J.P. beugte sich zu ihm herüber und zog den Verband fest. „Alles klar?“
    „Ich glaub schon.“ Walt hob den Kopf und sah auf die Anzeigen. Sie hatten an Geschwindigkeit gewonnen. Gut.
    „Zwei B-17 im Anflug“, sagte Mario aus dem Heck. „Staffelkennzeichen VK – ja, 303. Geschwader. Oh. Und eine Eskorte.“
    „Spitfire? Thunderbolt?“ Die Eskorte könnte Flossie zu einem Flughafen geleiten oder zumindest den Notruf absetzen, wenn sie abstürzten.
    „Äh, nein. Eine Fw 190. Verdammt. Er hat abgedreht. Und hält direkt auf uns zu.“
    * * *
    Allies Wecker auf dem Nachttisch stand auf sieben Uhr dreißig. Sie musste sich fertig machen und die lange Busfahrt nach March Field auf sich nehmen, um pünktlich um neun Uhr dort zu sein.
    Ihre Beine waren vom langen Knien eingeschlafen. Sie stand auf und verzerrte wegen der tausend Nadelstiche, die sie durchzuckten, das Gesicht. Vorsichtig ging sie einen Schritt und rutschte fast auf einem kleinen Stapel Papier aus – Walts letzte Briefe. Sie hob sie vom Dielenboden auf und brachte sie zum Schreibtisch, wo Walts Konterfei sie stoisch und doch freundlich ansah. Kein Wunder, dass Emily sich in ihn verliebt hatte. Allie legte die Briefe zu den anderen im obersten Schubfach und schloss die Schublade – zum letzten Mal. Sie spürte, wie etwas Kostbares in ihr zerbrach.
    Als sie die kleine Spieluhr in die Hand nahm, konnte sie nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. „Für Allie. W.J.N. ’42.“ Auch wenn er ihre Liebe nicht erwiderte, gehörte er doch zu den wertvollsten Menschen in ihrem Leben.
    Zärtlich strich Allie über das Holzcockpit des kleinen Flugzeugs. Ihre Gebete hingen unvollendet in der Luft, wie eine unvollständige Tonleiter.
    Und die Krankenstation?
    Nach einem kurzen Moment des Zögerns setzte Allie sich entschlossen an den Schreibtisch und schlug Psalm 91 auf. Als Freiwillige konnte man sie zwar verwarnen, aber nicht entlassen.
    * * *
    „Nicht ein Geschütz“, flüsterte Walt.
    „Wir sind geliefert“, sagte J.P.
    Walt konnte Pessimismus nicht ausstehen, aber in diesem Fall war er gerechtfertigt.
    „Er kommt auf sechs Uhr“, rief Mario.
    Eine Fliegende Festung von hinten anzugreifen war ein glattes Selbstmordkommando. Der Deutsche war viel zu weit weg, um zu wissen, dass sie ihre Geschütze abgeworfen hatten. Entweder hielt er große Stücke auf sich selbst oder er war schlichtweg dumm.
    „Er kommt näher“, sagte Mario.
    Walt rollte nach rechts, aber für einen Sinkflug war er viel zu tief. Der linke Flügel fing an zu zittern und der Jagdflieger stieg auf und davon. Walt richtete Flossie wieder auf. Im zweiten Motor fiel der Öldruck ab. Er wurde langsamer, stotterte und blieb stehen. Der Propeller drehte sich jetzt nur noch mit und war so nutzlos wie ein Kinderwindrad.
    Der Propeller musste in Segelstellung gebracht werden; den zusätzlichen Windwiderstand konnte Walt nicht gebrauchen.
    Walt ging die nötigen Schritte durch und fragte sich zugleich, wieso er sich die Mühe überhaupt machte.

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