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Der Klang Deiner Gedanken

Der Klang Deiner Gedanken

Titel: Der Klang Deiner Gedanken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Sundin
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in den Knochen.
    Allie lehnte ihren Kopf gegen das kühle Fenster und beobachtete, wie der bewaldete Hügel der Yerba-Buena-Insel vorbeizog. Sie versuchte, nicht ständig über das nachzudenken, was Betty gesagt hatte: Walt habe kein Wort über Emily verloren. Außerdem hatte Betty gemeint, Walt sei depressiv. Allie konnte das gut verstehen. Er hatte nicht nur seinen Arm verloren und damit die Möglichkeit, so viele Tätigkeiten auszuüben, die er mochte, sondern war auch gewaltsam von der Frau getrennt worden, die er liebte. Das musste der Grund sein, warum er Emily nicht erwähnte hatte. Er wollte nicht über sie reden.
    Früher hätte Walt Allie das in einem langen Brief erklärt. Aber das war einmal.
    Allie musste schwer schlucken. Sie wollte nicht schon wieder weinen. Heute nicht, und vor allem nicht vor Walt.
    Sie faltete die Hände auf ihrer Handtasche, in der der Brief steckte. Zuerst hatte sie gezögert, ihn mitzunehmen. Sie wollte sich nicht dahinter verstecken, nur um die Worte nicht sagen zu müssen. Im letzten Moment hatte sie ihn dann doch noch eingesteckt. Was, wenn die Krankenstation überfüllt war? Oder wenn er gerade Besuch hatte? Ob nun mündlich oder schriftlich: Sie hatte ihm etwas zu sagen, und zwar heute.
    * * *
    Walt warf einen Schnürsenkel über den Schuh und legte den anderen darüber. Mit seinem Armstumpf hielt er das rechte Ende fest und zog am linken. Wenigstens tat der Stumpf nicht mehr weh und die Fäden waren gezogen. Den Ärmel ließ er immer umgeschlagen, damit er den Stumpf nicht sehen musste. Einfach grotesk und nutzlos.
    Er machte eine Schleife, drückte mit dem Ärmel darauf und versuchte, den anderen Schnürsenkel drumherum zu wickeln. Zum gestreiften Nachtzeug und dem blauen Bademantel sahen die Schuhe lächerlich aus, aber er musste einfach mal raus. Er wollte weg von dem Zigarettenqualm und dem Desinfektionsmittelgeruch. Raus in die Sonne, bevor der Nebel einsetzte und ihn an England erinnerte, wo gute Männer Einsätze flogen und abgeschossen wurden, während Walt hier herumsitzen musste.
    Die erste Schleife fiel auseinander. Walt knurrte. Das Letzte, was er wollte, war, eine der Helferinnen vom Roten Kreuz zu fragen. Er wollte keine Hilfe von den Frauen in den grauen Uniformen, wie Allie eine trug. Irgendwann diesen Monat würde sie zu Allie Hicks werden.
    Die Schleife rutschte weg. Zum ersten Mal wünschte sich Walt, ordentlich fluchen zu können. Wie sollte er einer normalen Arbeit nachgehen, wenn er eine geschlagene Viertelstunde brauchte, um sich die blöden Schuhe zu binden?
    Er warf einen Blick nach draußen, wo über den Baumspitzen Nebel aufzog. Zu spät. Wütend zog er sich den Schuh vom Fuß und schleuderte ihn quer durchs Zimmer.
    * * *
    Allie lief den unbekannten Flur entlang. Sie hatte Schmetterlinge im Bauch. Nein, das waren keine Schmetterlinge, sondern ein Schwarm Heuschrecken, die herumschwirrten und sie von innen her auffraßen.
    Vor der Tür zum Krankenzimmer blieb sie stehen. Was machte sie hier? Sie sollte lieber gehen.
    Allie schloss die Augen und lehnte sich an die Wand. Sie musste ihn sehen. Er musste erfahren, dass sie ihn liebte. Das hatte sie Cressie versprochen, sich selbst und Gott.
    „Kann ich helfen, Miss?“
    Vor Allie stand eine brünette Krankenschwester. „Ich möchte gern Captain Walter Novak besuchen.“
    Die Schwester deutete mit dem Kopf auf die Tür. „Er ist gleich da drin, aber ich warne Sie. Der hat wirklich miese Laune.“
    Allie bedankte sich mit einem steifen Lächeln. Wie ungehobelt. Regina hätte es nie zugelassen, dass man so über einen Patienten sprach. Die Warnung brachte die Heuschrecken nur noch mehr in Aufruhr.
    „Soll ich Sie jetzt auch noch ankündigen, oder was?“, fragte die Schwester ungeduldig.
    Allie war so verblüfft über den Sarkasmus, dass sie nur wortlos blinzeln konnte. „Nein, natürlich nicht.“
    Sie zog den Kopf ein und ging hinein. Zwölf Betten standen an den Wänden aufgereiht. Die Männer lagen darauf herum, rauchten und unterhielten sich. Welcher davon war Walt?
    Bei Bettys Hochzeit hatte sie gesagt, sie würde ihn auch in fünfzig Jahren noch erkennen, und jetzt? Gerade einmal ein Jahr war vergangen. Wie konnte sie einen Mann lieben, den sie noch nicht einmal erkannte?
    „Hey, Püppchen.“ Ein Mann mit buschigem Haar ging an Allie vorbei und zwinkerte ihr zu.
    Sie bedachte ihn mit einem zurückhaltenden Lächeln. Dann entdeckte sie Walt.
    Er saß links neben dem letzten Bett auf einem

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