Der Klang Deiner Gedanken
Zukunft Mut zu machen. Dann wollte sie ihm sagen, dass sie die Verlobung gelöst hatte und warum. Und schließlich wollte sie ihm beichten, warum sie es ihm verschwiegen hatte – weil sie ihn liebte und ihm das nur persönlich sagen konnte.
Allie kam zu einem Markstand mit bemalten Tontöpfen. Der letzte Teil war unendlich schwer zu formulieren, nicht nur im Brief, sonder erst recht im persönlichen Gespräch. Das Liebesbekenntnis musste irgendwie eingeleitet werden: „Ich habe das Bedürfnis, dir etwas zu sagen, was dir vielleicht nicht gefällt. Cressie hat mir gesagt, dass unser Leben kurz sei und man deshalb jeden Tag nutzen solle. Also sage ich es dir lieber und mache mich damit lächerlich, als es dir nicht zu sagen und das für den Rest meines Lebens zu bereuen.“
Gedankenverloren folgte Allie mit dem Finger einer aufgemalten roten Blume. Da zupfte es an ihrem Rocksaum. Ein kleines Mädchen umschlang mit ihren pummeligen Ärmchen Allies Knie. Sie trug ein über und über mit roten und grünen Rüschen besetztes Kleidchen, ganz anders als alles, was man derzeit zu kaufen bekam. Wahrscheinlich war dieses Kleid schon lange in Familienbesitz und gehörte zum Familienerbe.
Allie strich der Kleinen über das schwarze Haar. „Hallo du. Sollen wir nach deiner Mama suchen?“
Das Mädchen sah erschrocken auf, ließ Allie los und wich zurück. „Mama?“
„Rosita? Aquí “, rief eine Frau vom Marktstand gegenüber.
Rosita tapste zu ihr hin. Ihre Mutter gab ihr einen Kuss und setzte sie sich auf die Hüfte.
Allie lächelte die beiden an, aber in ihrem Innern tat sich ein Abgrund auf. Nie wieder würde sie die Liebe ihrer Eltern spüren. Nie wieder würde sie ihr Familienerbe genießen – das Haus, die Zitrusgärten, die Stadt. Der Verlust tat weh. San Francisco kannte sie überhaupt nicht, geschweige denn das Leben dort.
„Keine Freunde“, flüsterte sie verzweifelt. „Keine Arbeit, keine Gemeinde, und noch nicht mal eine Familie.“ Sie fing tatsächlich ganz von vorne an, ohne alles. Müde vom ständigen Weinen versuchte sie, tief durchzuatmen.
Ob Walt sich Sorgen um sie machen würde? Ob sie ihm leidtäte? Das Letzte, was sie erreichen wollte, war, ihm noch eine zusätzliche Last aufzubürden. Wenn sie ihn traf, musste sie ihm versichern, dass sie klarkommen würde. Und das würde sie auch. Irgendwie.
Sie folgte ihrer Nase zu einem Imbissstand und kaufte sich einen Taco, um für wenig Geld etwas im Magen zu haben. Als sie zu einer flachen Mauer kam, setzte sie sich und feilte beim Essen an ihren Abschiedsworten. „Walt, du hast Liebe und Freude in deinem Leben verdient, und ich bin sehr froh, dass du das alles bei Emily gefunden hast. Bitte, mach dir um mich keine Sorgen. Ich komme zurecht. Und ich bereue nichts. Du wirst als guter Freund immer einen Platz in meinem Herzen haben, und ich werde auch in Zukunft für dich beten.“
Kapitel 44
Letterman General Hospital, San Francisco
Donnerstag, 1. Juli 1943
Walt knallte die Bibel zu. Er musste aufhören, in den Sprüchen zu lesen.
Er hatte das Lügen abgelegt, seiner Crew die Wahrheit gestanden und die Konsequenzen ausgebadet. Er hatte sich geändert, aber es reichte nicht. Wieso hatte er auch Allie anlügen müssen? Diese plumpe, letzte, stolze Lüge. Er hatte kein Mitleid von ihr gewollt, aber dahinter hatte wieder einmal nur sein Stolz gesteckt. Natürlich hätte er ihr die Wahrheit sagen müssen, aber nein, er hatte ja lügen müssen, und das machte ihm nun zu schaffen.
Walt lehnte sich vor und sah aus dem Fenster. Ein Übungsflugzeug, eine BT-13 drehte am Himmel ihre Kreise. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr in einem Brief sowohl seine Lüge zu beichten als auch seine Liebe zu gestehen. Ihre Hochzeit war schon nächsten Monat – nein, diesen Monat. Na großartig. Wenn das mal kein Hochzeitsgeschenk war.
Sprüche 27,5 hatte seine Schuldgefühle nur noch verschlimmert: „Offene Zurechtweisung ist besser als Liebe, die verborgen bleibt.“ Was war er nur für ein Waschlappen! Fürchtete sich vor der Zurechtweisung und einem verletzten Ego. Ein schöner Held war er.
„Da ist ja unser Kriegsheld.“
Walt stöhnte und sah Mom, Dad und Ray, der auf Heimaturlaub war, hereinkommen. Zuerst war Walt wirklich froh gewesen, wieder in Kalifornien zu sein, aber inzwischen hatte er es satt, anderen Piloten bei ihren Trainingsflügen zuzusehen. Er hatte all die Ärzte und Schwestern satt. Und die geheuchelten Aufmunterungsversuche
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