Der Klang Deiner Gedanken
seiner Familie.
„Jetzt schau dir diese Sammlung an.“ Dad setzte sich auf Walts Bettkante und klappte das Sammelbuch auf, das er für Walt führte. Für Jacks Kampferfolge hatte er auch schon eins angelegt. „In der Zeitung von Oakland war letzte Woche ein hübscher Artikel, und einer im San Francisco Chronicle . Leider ohne Bild. Und der Antioch Ledger hat gestern seine Serie fortgesetzt.“ Er drehte Walt das Buch zu.
Walt schielte auf die Schlagzeile: „Kriegsheld aus Antioch auf dem Weg der Genesung.“ Diese Reporter – auch die hatte er endgültig satt.
„Ist das nicht toll?“, sagte Mom mit diesem Lächeln, das sie seit seiner Rückkehr aufgesetzt hatte. Die Situation überforderte sie alle: Moms tröstendes Bemuttern, Dads Reiß-dich-zusammen-und-mach-das-Beste-draus-Einstellung und Rays übereifrige Seelsorgeversuche – nichts half. Ironischerweise hatte ihm Jack, der nicht gewusst hatte, was er sagen sollte, mehr Mut gemacht als der Rest der Familie zusammen. Walt machte ihnen keine Vorwürfe. Sie hatten sich auf das Schlimmste gefasst gemacht, aber nicht auf Walt als Krüppel.
„Gibt’s was Neues von Jack?“ Beim ersten Einsatz des 94. Geschwaders waren seine linke Hüfte und sein Rücken von Flaksplittern gespickt worden.
Ray setzte sich rittlings auf einen Holzstuhl. „Hab gestern einen Brief von ihm bekommen. Es geht ihm schon wieder gut. Er will endlich aus dem Krankenhaus raus. Und du kennst ja Jack – er hat natürlich ein Auge auf eine der Krankenschwestern geworfen.“ Rays Gesicht blieb ausdruckslos.
„Hört sich nach Jack an.“
„Er schreibt, du würdest sie kennen. Sie soll dich gepflegt haben, als du die Lungenentzündung hattest.“
„Lieutenant Doherty? Die Rothaarige? Na, da kann Jack sich warm anziehen.“
„Stimmt, er meinte, du hättest ihn gewarnt. Als ob er auf so was hören würde.“ Rays Augen bekamen einen traurigen Schimmer. „Er sollte sich solche Warnungen zu Herzen nehmen. Ich wünschte, ich hätte das gemacht.“
Walt ärgerte sich über sich selbst. Er erwartete von Ray, dass er ihn tröstete, dabei hatte Ray genug eigene Probleme.
„Bevor ich es vergesse“, sagte Mom, „ich habe noch mehr von Grandmas Erdbeeren mit.“
„Danke“, sagte Walt, konnte sich aber nicht zu einem Lächeln durchringen. Er hatte einen Arm verloren, Jack lag im Krankenhaus, Ray litt an einem gebrochenen Herzen und ein paar Früchte sollten alles wiedergutmachen? Nichts schmeckte ihm mehr, noch nicht mal Erdbeeren.
„Wie geht es dir denn, Liebling?“ Moms Stirn stand voller Sorgenfalten.
„Unverändert. Es ist kein Arm nachgewachsen.“
Moms Lippen bebten. Walt seufzte. Sie hatte seinen Zynismus nicht verdient. „Tut mir leid.“
„Der ... der Doktor hat vorhin mit uns gesprochen. Er meinte, du dürftest ruhig mal für ein paar Tage nach Hause.“
„Ja.“ Walt sah aus dem Fenster. Sosehr er das Krankenhaus auch satt hatte, er wollte nicht nach Hause und sich dem Mitleid einer ganzen Stadt stellen. „Später vielleicht.“
„Deine Mom würde sich wirklich freuen, wenn du mit uns nach Hause kommst“, sagte Dad.
„Aber ich nicht, okay?“
„Walter Jacob Novak!“
Walt schloss die Augen. Wie könnte er sich verständlich machen, ohne Moms Gefühle noch mehr zu verletzen? „Es ist so ... ich ...“
„Wenn deine Mutter will, dass du ...“
„Dad, lass ihn in Ruhe“, sagte Ray.
Walt riss überrascht die Augen auf. Ray fuhr sich mit der Hand durch sein glattes, schwarzes Haar. „Weißt du, seitdem ... na ja, es gibt jedenfalls Tage, da will ich meine Familie um mich haben, und andere Tage, da will ich lieber allein sein. Ich glaube, Walt hat heute so einen Tag.“
„Ja. Genau, genau das.“ Er sah seinen ältesten Bruder dankbar an. „Ich weiß, ihr seid hier, weil ihr mir helfen wollt, aber ...“
„Ich weiß.“ Ray stand auf und reichte ihm die Hand – die linke. „Manchmal ist nichts zu tun die beste Hilfe.“
* * *
Der alte Zug ratterte durch die untere Ebene der San Francisco Bay Bridge. Allie versuchte, sich auf die Bucht zu konzentrieren, die immer wieder zwischen den Stahlträgern hervorblitzte, aber ihr Kopf war voll mit anderen Dingen. In weniger als einer Stunde würde sie vor dem Mann stehen, den sie liebte. Jetzt halfen keine Träumereien und keine Briefe mehr. Die Nacht in der Bahnhofshalle der Union Station, die gestrige Fahrt im überfüllten Zug und das Gespräch mit Betty bis tief in die Nacht hinein steckten ihr noch
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