Der Klang Deiner Gedanken
von ihrer betörenden Sanftheit los. Seine Hand lag noch unter ihrem Kinn. Ihre Augen öffneten sich so langsam, dass ihm klar wurde, er könnte sie jetzt küssen, wenn er den Mut dazu hätte. Aber nicht hier. Nicht ihr erster richtiger Kuss.
Walt steckte die Hände in die Hosentaschen. Er versuchte zu lächeln, aber seine Lippen wollten ihm nicht gehorchen. Was sollte er jetzt sagen? Jetzt kam eigentlich die Frage, ob sie seine Freundin werden wollte, aber wie sollte er das formulieren?
Ein lauter Pfiff unterbrach seine Gedanken. Der Zug fuhr ein. Wieso jetzt? Er brauchte noch ein paar Minuten.
„Ach, gut, ich bin noch nicht zu spät. Käse und Schinken in Ordnung?“ Dorothy kam herbeigerannt und drückte Allie eine Papiertüte in die Hand. „Hier ist das Wechselgeld, Walt.“
Er stöhnte. Gottes Zeitplan mochte ja perfekt sein. Aber gefallen musste er ihm noch lange nicht.
Allie und Dorothy umarmten sich und brachten die große „Dankeschön“ –, „Ich werde dich vermissen“ – und „Schreib auch bald“ – Lawine in Gang. Frauen waren vielleicht sentimental. Immerhin konnte er Allie so ohne Weiteres drücken. Er legte die Arme um sie und kleine braune Locken kitzelten ihn an der Nase.
Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, so schnell, dass er es fast verpasst hätte. „Danke.“
„Wofür?“ Das Einzige, was er ihr gegeben hatte, war die Holzkuh.
Ihre Augen waren feucht. „Für ... für alles.“
Walt verstand. Die Woche bedeutete ihr genauso viel wie ihm. „Gern geschehen. Auch ich danke dir.“
Es folgten weitere Verabschiedungen und Schreibversprechen, und dann war Allie im Zug verschwunden. In Walts Brust tat sich eine eigenartige Leere auf, die noch größer wurde, als der Zug davonschnaufte. Aber er hatte ihre Adresse in der Tasche, ihren Kuss auf der Wange und vor ihnen lag eine gemeinsame Zukunft. Der Gedanke daran erfüllte ihn mit so großer Freude, dass er laut loslachte.
Dorothy sah ihn erstaunt an. „Was ist so lustig?“
„Die ganzen Jahre habt ihr immer eure Scherze über mich und die Frauen gemacht. Aber jetzt werde ich wohl als Nächster vorm Traualtar stehen. Jedenfalls schneller als du.“
„Mit wem denn?“ Sie folgte seinem Blick die Schienen entlang. „Du meinst doch nicht Allie?“
Er verdrehte die Augen. „Doch, ich meine Allie. Warst du die ganze Woche blind?“
Dorothy zog die Oberlippe hoch. „Ich glaube nicht, dass das ihrem Freund gefallen wird.“
„Freund? Wir sprechen hier von Allie, richtig?“
„Ja, Allie. Sie hat einen Freund. Wusstest du das nicht?“
Dorothy stänkerte gern einmal, aber das hier war einfach nur lächerlich. Walts Hände ballten sich in seinen Hosentaschen zu Fäusten. „Weißt du was? Ja, ich habe letzten Sommer Mist gebaut, aber ich habe es zugegeben und mich entschuldigt. Als gläubige Frau solltest du zumindest versuchen, mir zu vergeben. Ich habe gelogen, um Art und dich zusammenzubringen, aber du – du lügst, um uns auseinanderzutreiben. Das ist einfach nur mies.“
Ihre dunklen Augen funkelten. „Du denkst, ich lüge, ja?“
„Ich weiß, dass du lügst.“
„Tue ich nicht. Allie hat wirklich einen Freund. Er heißt Baxter Hicks, arbeitet für ihren Vater und sie sind schon seit einer Ewigkeit zusammen.“
Walt schnitt eine Grimasse und marschierte zum Bahnhofsgebäude zurück. „Ein besserer Name ist dir nicht eingefallen?“
„Ich habe ihn mir nicht ausgedacht. Frag Betty. Sie kennt Baxter. Und George auch.“
Dorothys Absätze klackerten hinter ihm her und das würde noch eine Weile so weitergehen, denn er fuhr sie jetzt bestimmt nicht nach Hause. Jetzt hatte sie auch noch Betty und George in ihre Lüge verstrickt.
George.
Walt blieb vor dem Zeitungskiosk stehen, wo die Schlagzeile auf dem Ledger verkündete: „Die Briten in Ägypten zurückgedrängt“. George hatte ihn bislang überhaupt nicht aufgezogen. Wusste er etwas, das Walt nicht wusste?
„Hat Allie dir nichts von Baxter erzählt?“ Dorothys Stimme klang nicht mehr wütend. „Sie spricht generell wenig von ihm. Du weißt doch, wie verschlossen sie ist. Aber ihr habt so viel miteinander geredet, da dachten wir, du wüsstest Bescheid.“
Walt blieb stehen und sah Dorothy an. Vor seinem inneren Auge rauschte die vergangene Woche vorbei. Allie konnte keinen Freund haben. Sie war noch nicht mal richtig geküsst worden – nur zehn winzige Küsschen. Noch nie war sie zum Tanz aufgefordert worden. Und dieser eine Schulball
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