Der Klang Deiner Gedanken
kleines Mädchen zu sehen, das einen blassblauen Schal über den blonden Locken trug, eine Puppe fest umklammert hielt und einen Finger im Mund hatte. Die Trümmerlandschaft hinter ihr verstärkte die Wirkung des Slogans in großen Lettern: „Kriegsfürsorge – mach mit!“
Hinter einem Schreibtisch aus Metall, auf dem sich überall Papier stapelte, erhob sich eine stämmige Frau mit dunklem Teint und grauer Rot-Kreuz-Uniform. „Cressie – meine allerbeste Freiwillige! Nun sieh sich einer diese schönen Decken an. Und so viele. Damit können wir den Jungs ein großes Stück helfen.“ Sie räumte schnell ein paar Stühle frei und vergrößerte die schon wackligen Papierstapel auf dem Schreibtisch.
Die drei Frauen legten ihre Decken auf die freien Holzstühle. Dann stellte Cressie Allie und Daisy Regina Romero vor, die den Krankenhaus- und Erholungsdienst des Roten Kreuzes leitete.
Cressie betrachtete den Schreibtisch und runzelte die Stirn. „Und du ertrinkst mal wieder in Arbeit, Liebes?“
„Wie immer.“ Das Ende einer Buchreihe kippte zur Seite und drohte eine Papierlawine loszutreten, aber Regina war rechtzeitig zur Stelle.
„Es gibt einfach nicht genug helfende Hände. Die jungen Frauen von heute wollen eben nur noch bezahlte Arbeit machen.“
Wieder machten sich Schuldgefühle in Allie breit. Ihre Aufgabe als Klavierspielerin nahm nur wenige Stunden in Anspruch und trug nichts zu den allgemeinen Kriegsanstrengungen bei, außer dass sie immer neue Kriegsanleihen kaufen konnte.
Regina griff nach einem Klemmbrett und fing an, mit Cressie über den Papierkram zu sprechen. Neben der Tür entdeckte Allie ein weiteres Poster. Eine Rot-Kreuz-Helferin reichte einem Soldaten etwas Proviant, der sich aus einem Zugfenster lehnte. Wie viele Möglichkeiten es gab zu helfen!
Herr, ich möchte auch etwas beitragen. Das hier könnte ich bestimmt. Ich sollte sogar!
* * *
„Du bist was?“
„Ich bin jetzt Freiwillige beim Roten Kreuz, Mutter.“ Allie öffnete eine Schublade und holte Besteck heraus. Ihre Nervosität brannte ihr wie Säure im Magen. „Ich weiß, vierzig Stunden pro Woche ist sehr viel, und ich werde zu Hause nicht mehr viel helfen können, aber es wird nicht viel anders als letztes Jahr, als ich noch auf dem College war, oder ...“ Sie schluckte. „Oder wenn ich erst verheiratet bin.“
Ihre Mutter marschierte wütend zum Torbogen, der das Esszimmer mit dem Wohnzimmer verband. „Stanley, hast du gehört, was deine Tochter gemacht hat? Verbiete ihr das auf der Stelle.“
Allies Vater lehnte sich in seinem roten Ledersessel zurück und drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. „Tut mir leid, Liebes. Das ist doch eine gute Erfahrung für sie. Wir suchen uns einfach eine Haushaltshilfe.“
„Danke.“ Allie legte das Besteck neben seinen Teller. Das Messer beschützte den Löffel vor der Gabel.
„Baxter? Rede du mit ihr“, sagte ihre Mutter.
Allie verzog das Gesicht. Der Arme war jetzt in der Zwickmühle. „Die Arbeit als Freiwillige ist sehr niveauvoll“, sagte sie. „Es gibt einige Damen aus Riversides besten Familien, die als Freiwillige tätig sind.“
„Tatsächlich?“, antwortete Baxter. „Dann ist das vielleicht genau das, was Allie braucht, Mrs Miller. Sie ist den ganzen Sommer schon so rastlos und seltsam.“
Rastlos und seltsam? Es klingelte an der Tür und Vater ging hin, um zu öffnen. Allie holte derweil das Kartoffelpüree aus der Küche. Wenn es rastlos und seltsam war, sich einer gottesfürchtigen Gemeinde anzuschließen und verwundeten Soldaten zu helfen, dann wollte sie gern noch rastloser und seltsamer werden.
„Allie, ein Päckchen für dich“, sagte ihr Vater.
„Für mich?“ Sie stellte verwundert die Schüssel auf den Tisch und ging ins Wohnzimmer, wo ihr Vater ihr einen Karton von einer guten halben Armlänge und zwanzig Zentimeter Höhe überreichte.
Behutsam setzte sie sich in den Schaukelstuhl. Das Päckchen lag schwer auf ihrem Schoß. In Kapitälchen stand ihr Name darauf – in Walts Handschrift und einer Schreibtechnik, die er während der Ausbildung gelernt hatte.
Was hatte er ihr bloß geschickt? Unter den Blicken aller Anwesenden knotete sie das Paketband auf und öffnete den Deckel. Auf zerknülltem Zeitungspapier lag ein Brief. Sie überflog ihn nach etwas, was sie erzählen konnte. Seit dem Fiasko bei der Hochzeit achtete sie sorgfältig darauf, in jedem Brief an Walt etwas Positives über Baxter zu schreiben und ihrer Familie
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