Der Klang der Sehnsucht - Roman
auch der Sänger zu Asche verbrennen würde.
Als Akbar Tansen den Befehl erteilte, den Raga Dipak zu singen, bat dieser ihn inständig, ihn zu verschonen. ›Aber Herr, beim Dipak kann der Sänger in Flammen aufgehen.‹ Doch der Herrscher ließ nicht mit sich reden. ›Wenn du der größte Sänger im Land bist, musst du diese Herausforderung annehmen‹, beharrte Akbar.
›Dann gestattet mir einige Tage zur Vorbereitung‹, erwiderte Tansen mit einer tiefen Verbeugung vor seinem Herrn.
Tansen wusste, wie gefährlich es war, den Dipak zu singen, aber er wusste auch, dass man sich vor der Gewalt des Feuers retten konnte, wenn zur selben Zeit der Raga Megh – der Wolken-Raga – gesungen wurde, der den Regen bringt.
Am festgesetzten Tag wimmelte es im Palast nur so von Höflingen und Gästen. Lampen wurden an allen Wänden aufgestellt, jedoch nicht entzündet. Tansen saß mit seiner Tanpura bereit. Sobald der Kaiser den Saal betrat, begann der große Musiker mit dem Alap – dem ersten Teil des Raga, ehe er zum Gesang überging.«
Der Guruji hielt inne. Er hörte einen Wagen in der Einfahrt. Er blieb sitzen, denn er wusste, sein Bruder würde direkt in Kalus Zimmer eilen.
Er holte kurz Atem und fuhr mit seiner Geschichte fort. »Während Tansen sang, erhitzte sich die Luft um ihn herum immer mehr.
Jivan ka path ujjval karo, jalavo jalavo, rag dipak se jinajyot jalavo
Entzünde mein Leben, entzünde die Flammen, aus den Tönen des Raga Dipak, die Flammen.
Das Publikum begann zu schwitzen. Die Blätter und Blumen im Garten verdorrten und fielen zu Boden. Das Wasser in den Brunnen kochte. Die Vögel ergriffen die Flucht. Jäh entzündeten sich die Lampen, und Flammen tanzten in der Luft. Das Publikum suchte entsetzt das Weite. Der Kaiser stand auf, lauschte ehrfürchtig, während die Rose in seiner Hand welkte und starb.
Tansens Körper wurde immer heißer und fiebriger, aber er war so in seinen Gesang vertieft, dass er es nicht spürte.
Und jetzt wird es interessant. Du weißt, alle Geschichten stimmen bis zu diesem Punkt überein. Doch von dem Moment an, als Tansen vor Fieber glüht, gibt es vier Fassungen, die erzählen, wie die Geschichte sich abgespielt haben könnte.«
Kalu öffnete einen Moment lang die Augen. Er glaubte, doppelt zu sehen, erkannte aber dann, dass der Schatten wirklich Vaid Dada war.
Der Guruji trat beiseite, fuhr aber mit seiner Geschichte fort, während der Vaid den Patienten untersuchte.
»Die erste bezieht sich auf die Vorbereitungszeit, die Tansen sich ausgebeten hatte. Nach dieser Version bittet Tansen seinen alten Lehrer Haridas um eine seiner Schülerinnen. Er gibt ihm Rupa, die bereits eine ausgezeichnete Musikerin ist. Tansen braucht fünfzehn Tage, um sie einzuweisen. Am Ende der zwei Wochen beherrscht Rupa den Wolken-Raga vollkommen.
Während Tansen den Dipak sang, gewann Rupas anfangs etwas schüchterne Stimme immer mehr an Kraft.
Garaj, garaj kar barso, megh raj ko megh rag se bulavo
Tosender Regen ströme hernieder, beschwöre den Raga Megh, rufe den König des Regens.
Der Himmel wurde schwarz von Wolken, und heftiger Regen strömte hernieder. Als der Regen die Erde bedeckte, überschütteten alle Tansen mit Lob und priesen seinen Genius. Bei aller Freude war Kaiser Akbar doch erschüttert, dass er beinahe seinen besten Musiker an dessen eigenes musikalisches Feuer verloren hätte.
Von nun an verbreitete Tansens Ruhm sich wie die Flammen des Dipak.«
»Aber«, warf Vaid Dada lächelnd ein und nickte seinem Bruder zu, um ihm zu signalisieren, dass Kalu wieder gesund werden würde, »was wäre gewesen, wenn es Rupa nicht gegeben hätte? Oder war sie nur eine hübsche Erfindung der Höflinge oder von Tansens Frau Husani?«
»Das zweite Ende«, fuhr der Guruji fort, »rankt sich um Tansens Jugendfreundin Tani, ein hübsches Mädchen aus seiner Heimatstadt. Tani spürt die Hitze des Feuers, die Tansen bedroht, bis nach Gwalior. Vielleicht riecht sie beißenden Rauch oder sieht im Augenwinkel ein grelles Licht, die ihr die Gefahr verkünden, in der ihr Liebster sich befindet. Auch Tani singt den Wolken-Raga, nur bittet sie nicht allein um Regen, sondern fleht zugleich die Götter an, ihren Liebsten zu retten.«
Der Guruji sang noch einmal, diesmal mit noch mehr Kraft und Leidenschaft. Selbst das Morgenlied der Vögel verstummte, als er die beiden Zeilen wiederholte, während der Vaid aus den Pulvern in seiner Tasche eine Paste herstellte.
Garaj,
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