Der Klang der Sehnsucht - Roman
Befehl darauf lastete. Kalu drehte sich um, hielt aber die Augen geschlossen.
»Guruji, Sie brauchen es mir nicht zu sagen. Ich verstehe. Ich weiß, ich habe versagt. Ich konnte ihn einfach nirgendwo finden. Sie hatten recht. Ich bin nicht gut genug.« Kalu vergaß seinen Entschluss, keine Träne zu vergießen. Niemand konnte etwas dafür, es war alles seine eigene Schuld. Hätte er mehr gelernt, härter gearbeitet … Aber jetzt war es zu spät.
»Kalu, hör mir zu. Wenn man sich zu sehr bemüht, erkennt man mitunter das Nächstliegende nicht.«
»Es tut mir leid, Guruji.« Kalu blickte auf die weiche Decke auf dem Bett.
»Du musst dich entspannen, dir selbst mehr zutrauen. Nichts geht ohne Geduld.«
»Aber ich kann doch nicht jeden Tag in die Stadt fahren – und selbst wenn, ich wüsste nicht einmal, wonach ich suchen sollte. Nicht wie Martin.«
»Nein, aber was bei einem funktioniert, muss nicht notwendigerweise beim anderen auch funktionieren. Du wirst den Raga auf deine Weise finden. Außerdem hast du Martin ja noch nicht einmal gehört. Blut findet immer seinen Weg. Das ist der Vor
teil, den du gegenüber Martin hast. Dein Blut wird dir den Weg weisen.«
Kalu hörte seinen eigenen Atem. Er klang rau und keuchend in der Stille. »Aber ich weiß ja nicht, woher mein Blut stammt«, sagte er so leise, dass er sich seiner Worte kaum bewusst war. »Ich habe versagt. Ich werde morgen aufbrechen.«
Die Stille war so tief wie der Schmerz in seinem Herzen.
»Aha. Jetzt entscheidest also du an meiner Stelle? Und gibst nach der ersten Schwierigkeit auf?«
»Nein!«, schrie Kalu. »Ich gebe nicht auf. Verstehen Sie nicht? Morgen ist meine Zeit um. Und ich habe versagt.«
»Ja, hast du. Aber denkst du, nur weil du ein bisschen Talent hast, musst du dich nicht anstrengen, um über das Mittelmaß hinauszukommen? Warum solltest du nicht Zeit brauchen, um gewisse Dinge zu lernen? Hätte ich jedes Mal aufgegeben, wenn ich gescheitert bin, wäre ich nie Musiker geworden.«
»Aber –«
»Und wer sagt, dass diese Aufgabe die entscheidende war? Deine größte Stärke und zugleich dein schlimmster Feind ist dein Wunsch nach Erfolg. In einem hatte mein Bruder recht: Du musst hier sein. Deine Probezeit ist um. Geh, wenn du willst, aber rede dir nicht ein, ich hätte dich fortgeschickt. Das ist allein deine Entscheidung.«
Der Schatten erhob sich und trat näher an das Bett heran. »Komm, Kind«, sagte der Guruji mit sanfterer Stimme. »Jetzt trink deine Milch, sonst schimpft Ashwin den ganzen Abend mit mir.«
Kalu setzte sich auf und sah das Glas an. Eigentlich sollte er sich freuen. Der Guruji hatte ihn nicht hinausgeworfen. Aber er war so überzeugt gewesen, dass er den Raga finden würde. Wenn er nicht einmal dazu imstande war, wie sollte dann ein richtiger Musiker aus ihm werden? Der Schmerz, der in seinem Magen begonnen hatte, kroch hinauf in seine Brust, und er musste sich zwingen einzuatmen. Lang und tief. Er durfte Vaid
Dada nicht enttäuschen. Und sich selbst nicht aufgeben. Er würde bleiben. Ganz gleich, wie idiotisch er sich vorkam, er würde die Worte des Guruji beherzigen. Er würde bleiben, bis man ihn zwang zu gehen oder bis aus ihm der Musiker geworden war, der er sein wollte.
Kapitel 7
»Hier.« Der Guruji legte Kalu eine kleine Summe Geld in die Hand.
»Wofür ist das? Ich habe doch gar nichts gemacht.«
»Solange du hier bist, lebst du nach meinen Regeln. Jeder braucht ab und zu ein bisschen Geld. Warum hältst du dich für eine Ausnahme?«
Kalus finsterer Blick bewies, dass er nicht überzeugt war. Er hatte noch nie Geld erhalten, ohne etwas dafür zu tun. Und er hatte nicht einmal angefangen zu spielen. Nicht richtig, nicht so, wie er es sich wünschte. Nicht, wie der Guruji es erwarten würde.
»Du stehst wie wir alle um fünf Uhr auf und arbeitest bis abends, oder nicht?«
»Ja, aber eigentlich müsste ich Sie bezahlen und nicht umgekehrt. Ich brauche keine Almosen. Sie ernähren mich doch schon.«
Der Guruji zog die Brauen zu einer dicken, schwarzen Linie zusammen. »Als du hierhergekommen bist, hast du eingewilligt, meine Regeln zu befolgen, oder nicht?«
»Ja, aber –«
»Kein Aber. Du wirst das Geld nehmen, das ich dir jede Woche gebe. Du wirst lernen, zu sparen und es angemessen zu verwenden. Du wirst alles zurückzahlen, wenn du anfängst zu arbeiten.«
»Aber –«
»Kein Aber. Musst du mir immer widersprechen?«
»Ich bin kein Kind. Ich kann auf mich selbst
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