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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Ich kann zwar meine Rosenholzflöte noch immer nicht so gut spielen, wie ich möchte, aber bald wird es so weit sein.«
    Er erinnerte sich, wie aufgeregt er an dem Tag gewesen war, als er bemerkte, dass er seine Finger endlich weit genug spreizen konnte, um eine vier Tage alte Lotusblüte im Gartenteich zu umfassen. Der Guru hatte ihm seine Flöte in die Hand gelegt und zugesehen, wie Kalu seine Finger auf die Löcher legte und eine Tonleiter spielte. Der Klang war tief wie ein Waldsee. Er schaffte es bis zum unteren Ga, bevor seine Finger den Halt verloren. Er musste doch noch ein wenig warten, aber das wohl
wollende, ruhige Lächeln des Guruji, ermutigte ihn. Er hatte noch immer einen weiten Weg vor sich.
    *
    Kalu wartete auf einem flachen Stein am Wegrand auf Bal. Es war noch früh am Morgen und der Himmel rosafarben, als Bal mit seinem Stock in der Hand die langsamen Büffel auf den Fluss zutrieb. Seine Bewegungen waren kantig, wie bei einem Storch, der durchs Wasser stakst.
    Der Junge ging an Kalu vorbei, ohne aufzuschauen.
    »Aré, Bal, hast du mich schon vergessen?«, rief Kalu. Er rannte ein Stück, um ihn einzuholen, und umarmte ihn. Bal entwand sich. Sein Gesicht, zuerst voller Freude, wurde ernst, und er setzte seinen Weg fort.
    »Was soll das, Kalu? Ich bin keine passende Gesellschaft mehr für dich.«
    »Sei kein Idiot, Bal.« Kalu schaute seinen Freund an. »Nur weil ich jetzt anders angezogen bin, habe ich dich doch nicht vergessen.«
    »Du hast dich verändert, Kalu. Jeder Dummkopf kann das sehen. Und ich bin kein Dummkopf, auch wenn ich nicht gebildet bin.«
    Kalu blieb stehen. Diese Reaktion hatte er nicht erwartet. Bei dem Gedanken, dass er vielleicht seinen besten Freund verloren hatte, verspürte er einen schmerzhaften Stich. Niemand außer ihm verstand, was es bedeutete, wirklich allein zu sein.
    »Nein!«, rief er. »Hör auf. Nur weil du denkst, ich bin jetzt anders, heißt das doch nicht, dass wir nicht weiter Freunde sein können. Du hast dich auch verändert, weißt du? Denkst du, ich rede nicht mehr mit dir, weil du jetzt ein paar Haare im Gesicht hast? Wenn du einen richtigen Schnurrbart hättest, würde ich meine Meinung vielleicht ändern.«
    Bal erwiderte Kalus Blick. Tränen traten ihm in die Augen, und er wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte.
    »Kalu, ich gehöre nicht mehr derselben Schicht an wie du. Das weißt du.«
    »Aber Bal, ich bin doch noch immer derselbe. Du warst mein Bruder. Du kennst mich wie niemand sonst.« Er hielt inne. »Ich würde lieber meine Musik aufgeben als dich.«
    »Dazu ist es zu spät, Kalu.« Bal fuhr sich über die Augen und richtete sich auf. »Außerdem ist Musikmachen das Einzige, was du kannst.« Er holte tief Luft. »Wenn du also wirklich nicht gehen willst, dann könntest du dich wenigstens nützlich machen. Warum spielst du nicht was auf deiner Flöte und machst diesen Viechern etwas Beine?«
    Kalu lachte und zog eine Flöte hervor.
    *
    Erst nach einer Woche fragte Bal ihn, wie es eigentlich war, einen Ort zu verlassen und sich an einen anderen zu gewöhnen. Kalu weinte, als er von den vergangenen drei Jahren erzählte. Bal hielt Kalus Hand, während die Worte aus diesem hervorsprudelten. »Es ist gut, Yar«, sagte der ältere Junge, »es ist gut, traurig und froh zugleich zu sein. Die meisten Leute glauben, es war leicht für dich, weil du eine Begabung hast. Aber sie verstehen nicht, dass es nie leicht ist, sich an eine Welt zu gewöhnen, die so anders ist.«
    »Es ist schon komisch«, sagte Kalu. »Du kennst doch Jaya-shri Ben, die Frau vom Panwalla? Sie will mir jetzt dauernd Pan schenken, als wäre ich ein Sahib. Und andere Leute, die der Vaid behandelt, Leute, die mich früher nicht mal in ihre Nähe gelassen haben, wollen jetzt, dass ich bei ihnen esse.«
    »Ich weiß noch, wie es war, als ich hier angekommen bin. Ich habe einen Monat lang geweint«, sagte Bal leise.
    Kalu rieb seinen Daumen an seinem Zeigefinger, der vom vielen Üben von Hornhaut überzogen war. »Ich dachte, dass ich noch immer nach Hastinapore zurückkönnte, wenn es mit dem Guruji nichts geworden wäre.«
    »Du kannst nicht mehr zurück, Kalu. Nur vorwärts. Wenn Leute wie wir uns auf die Vergangenheit konzentrieren, kommen wir nie vom Fleck. Aber das macht es nicht leichter.« Bal bot Kalu einen Zipfel von seinem verblichenen Hemd an, um seine Augen zu trocknen. Sie erwähnten dieses Gespräch nie wieder, aber Kalu wusste, dass er das Gefühl, das Bal ihm

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