Der Klang der Sehnsucht - Roman
gegeben hatte, nie vergessen würde. Das Gefühl, verstanden zu werden.
*
Seinen letzten Morgen in Hastinapore verbrachte er mit Bal. Der Junge hütete die Büffel, während Kalu auf der Flöte spielte. Sein Lied tönte über den Fluss und die Ufer.
An seinem letzten Abend suchte er Malti auf.
»Wie war es, mal wieder hier zu sein? Auch wenn es nur eine Woche war«, sagte Malti und lehnte sich an den Frangipani. Kalu setzte sich neben sie.
»Ein bisschen seltsam. Es ist schön, aber nicht mehr das Gleiche.«
»Du hast dich auch ganz schön verändert, Großauge, das kann ich dir sagen. Du bist nicht mehr so frech wie früher. Und du bist jetzt fast so groß wie ich. Bald kann ich dich nicht mehr aufziehen!«
»Ach, aufziehen wirst du mich doch immer, Malti.«
»Irgendjemand muss ja dafür sorgen, dass du nicht zu eingebildet wirst.«
Kalu lachte. Er fühlte sich wohl. Trotz der Entfernung und der langen Trennung herrschte noch die alte Vertrautheit zwischen Malti und ihm.
»Lust auf ein paar Chiku?« Malti hob eine Braue.
»Wäre nicht schlecht.«
»Wahrscheinlich soll ich dir welche holen?«
»Wenn du sie holst, schäle ich sie.«
»Einverstanden.« Malti stand auf und lief ins Haus. Früher hätte Kalu nie erwartet, dass Malti ihm Obst anbot. An Essen kam
man wirklich leichter heran, wenn man nicht ganz so hungrig war. Aber diese Dinge gehörten der Vergangenheit an.
Kalu nahm die Flöte, die neben ihm lag, und begann zu spielen. Der Klang war tief und voll, als würden sich seine Gedanken in Musik verwandeln. Sie schwebten in der Luft wie Staubteilchen im Sonnenlicht. Jeder Ton verhieß etwas nicht ganz Ausgesprochenes, hörbar vielleicht nur im Dunkel eines Traums.
Wie gebannt blieb Malti in der Tür stehen. Kalu hatte viel mehr gelernt, als sie vermutet hätte. Ihr Bruder hatte ihr einmal die Geschichte vom Rattenfänger von Hameln erzählt, der mit seiner Flöte alle Kinder aus einer Stadt mit sich fortgelockt hatte. Es hätte sie nicht überrascht, wenn Kalu das ebenfalls könnte.
*
Es herrschte Moskito-Wetter, es war feucht, und Regen lag in der Luft. Kalu wollte eigentlich auf den höchsten Gipfel steigen, von dem man bis Tanakpur sehen konnte. Doch wegen der vielen Fliegen und der stickigen Luft besann er sich anders und suchte nach der Hälfte des Weges eine bequeme Stelle im goldenen Gras.
»He!«, gellte eine junge, gebieterische Stimme über den Berghang.
Kalu ging weiter. Dass Nishal die Ruhe seiner Berge störte, ärgerte ihn ebenso sehr wie dessen stetige Weigerung, ihn mit seinem Namen anzusprechen.
»He, du, ich rede mit dir!«
Kalu wandte sich um, denn er wusste, Nishal würde nicht aufgeben. Schwer atmend und mit geballten Fäusten stand er hinter ihm.
»Warum bist du in unser Dorf gekommen und hast alles verändert? Alles lief gut, bevor du aufgetaucht bist.«
»Für dich vielleicht.«
Der Junge war starr vor Zorn. »Du weißt überhaupt nichts über
mich.« Nishal trat gegen einen Stein, so dass er direkt von Kalus Füßen landete.
Kalu rührte sich nicht. Nishal konnte ihn in Wut versetzen wie niemand sonst. Welches Recht hatte er, ihn zu behandeln, als hätte er ein Verbrechen begangen? Nur weil zuerst Biddu und dann allmählich auch andere Kinder zu seinem Team übergelaufen waren. »Und du weißt nichts über mich«, sagte Kalu, bemüht, seine Stimme ruhig und ausgeglichen klingen zu lassen. Er drehte sich um und ging weiter den Hang hinauf. Nishal folgte ihm.
»Ich weiß mehr, als du denkst. Du bist der Bastard von diesem Kerl, der sich zu fein ist, auch nur eine Rupie in unserem Dorf auszugeben. Der sich für etwas Besseres hält, genau wie du.«
Nach diesen Worten warf Kalu sich auf Nishal und schlug blindlings auf ihn ein. Nishal wehrte sich, bis die beiden Jungen das Gleichgewicht verloren und über die Felsen rollten.
Kalus Flötenkasten öffnete sich, und die Flöten fielen heraus. Die Jungen kamen zu einem Halt, und Kalu sprang auf, ohne sich um seine Verletzungen zu kümmern. Viel besorgter war er um die Flöten. Seine Rosenholzflöte hatte er zu Hause gelassen, aber die drei, die er in seinem Kasten hatte, gehörten dem Guruji. Endlich kamen die Jungen keuchend auf die Füße.
»Suchst du was?« Nishal blutete an der Lippe, und seine Hose war zerrissen. Eine der Flöten lag direkt vor seinen Füßen. Just als Kalu losrannte, zertrat Nishal sie. Beide Jungen hörten den Bambus brechen, es krachte über das Tal wie ein Gewehrschuss.
Kalu sagte
Weitere Kostenlose Bücher