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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Schwung in ihrem Herzen. Es war noch früh.
     
    Parethi lapsyo pag, ke beda mara nandvana
    Mein Fuß glitt aus am Rand vom Teich, meine Krüge zerbrachen, wie soll ich jetzt nach Haus?
     
    Ihre Freundinnen sangen ebenso leise wie sie.
    Zu Navratri oder bei Hochzeiten schwärzten sie sich die Lider und sangen Arm in Arm, laut und mit schwingenden Hüften. Jetzt tönten die Verse leise wie Bienengesumm. Sie sangen für sich selbst, im Rhythmus ihrer Füße und der leeren Plastikkrüge. Was für ein Glück, in der heutigen Zeit zu leben! Ihre Mütter hatten noch die schweren Tonkrüge schleppen müssen. Die aus
Plastik waren viel leichter, obwohl man sie nicht reparieren konnte, wenn sie zerbrachen.
     
    Chore behta re beni tara saraji, kem kari gharma jaish, ke beda tara nandvana …?
    Dein Schwiegervater wartet am Tor. Wie kommst du an ihm vorbei mit den zerbrochenen Krügen?
     
    Der Brunnen war vor vielen Jahren gebaut worden. Ihre Großmutter hatte ihr davon erzählt. Er war nicht so groß und prächtig wie der Stufenbrunnen von Adalaj, aber er besaß drei durch Treppen verbundene Etagen. Um diese Zeit am Morgen fröstelte sie darin, aber in der Hitze des Tages war sie dankbar dafür. Jetzt wärmte die Sonne behutsam ihre Glieder und machte sie bereit für den kommenden Tag.
     
    Lamba tanish re beni mara ghumta re, rumjhum karti jaish, ke beda mara nandvana
    Ich bedecke mein Gesicht mit dem Sari und lasse meine Fußreifen klingen, so wird der Schwiegervater die zerbrochenen Krüge nicht sehen!
     
    Sie wandte sich um, als neue, fremde Klänge ihren Gesang untermalten.
    »Dort drüben«, sagte ein junges Mädchen.
    Im Schatten des Brunnens saßen vier Musikanten. Sie hatten Flöte, Trommeln, ein Saiteninstrument und Zimbeln. Der Mann mit der Flöte spielte weiter, auch als die Frauen ihren Gesang unterbrachen. Sie musste genau hinschauen, um die Flöte zu erkennen, die die gleiche Farbe hatte wie seine Haut, braun wie getrocknete Tabakblätter. Die Falten in seinem Gesicht und die dunklen Schatten unter seinen Augen ließen den Mann alt erscheinen. Die anderen sahen ähnlich aus, nur das Lächeln des Trommlers war strahlend weiß wie frisches Zuckerrohr.
    »Spielt für uns, während wir unser Wasser schöpfen«, rief das
jüngste Mädchen, klatschte in die Hände und hüpfte im Takt der Flöte auf und ab. »Bitte, spielt für uns!«
    »Gebt uns Wasser, Mädchen, dann spielen wir. Macht es süß, und wir spielen länger«, sagte der Mann mit den Zimbeln mit tiefer, sonorer Stimme. Er sprach langsam und kaute dabei auf einem Grashalm.
    Die älteste der Frauen lachte. »Ist es die Jugend oder die Erfahrung, die das Wasser süß macht?«
    Er wickelte sich den langen Grashalm, auf dem er gekaut hatte, um den Finger. »Machen wir einen Versuch. Wir trinken, so viel ihr uns gebt.« Die Frauen lachten.
    »Wir haben genug für alle«, fügte der Trommler hinzu und strich dabei über die Bespannung seines Instruments.
    Bevor er zu Ende gesprochen hatte, hatte die Jüngste schon ihren Krug gefüllt. Gerade wollte sie einem der Männer aus ihrer hohlen Hand zu trinken geben, als eine der anderen Frauen ihr den Arm zurückriss, so dass das Wasser zu Boden rann und versickerte.
    »Die können aus dem Krug trinken, wenn sie solchen Durst haben. Worte sind eine Sache, aber anfassen ist etwas anderes. Du bist doch kein Flittchen.«
    »Also ihr spielt, ja?« Die Jüngste ignorierte sie.
    Der Sänger stimmte ein Lied an, als der Mann mit der Flöte sein Spiel unterbrach, um zu trinken.
    Nachdem alle Musiker ihren Durst gestillt hatten, stimmten sie ein. Die Frauen bildeten einen Kreis und tanzten zu ihrem Lied, in dem die Heiterkeit und die Kraft des Morgens ertönte.
    Die Schüchternen wurden von der Jüngsten in den Kreis gezogen. »Kommt schon, ein Tänzchen bringt euch nicht um. Eure Männer werden nichts davon erfahren. Wir müssen doch sowieso viel zu schwer arbeiten. Nur ein Lied, dann hören wir auf.«
    Nur dass das Lied nie zu Ende ging. Just, wenn eine Melodie zu verklingen schien, schlich sich bereits die nächste an ihre Stel
le, so dass die Musik keinen Anfang und kein Ende zu haben schien.
    Ihre Begeisterung verwandelte sich in Furcht, als sie immer weiter tanzte. »Genug!«, sagte ihr Verstand, aber ihre Füße gehorchten nicht. Sie konnte nicht aufhören. Ganz allmählich wich die Furcht einem ganz anderen Gefühl, nämlich der Befreiung. Das Tanzen schien ihr besondere Kräfte zu verleihen. Salziger Schweiß rann

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