Der Klang der Sehnsucht - Roman
während ihre Herrin trank. Wäre zu Hause etwas passiert, hätte Ganga Ba es ihr sicher sofort mitgeteilt. Trotzdem …
»Das war vielleicht ein Vormittag! Also, Shami hat den Heiratsvermittler zu uns bestellt.«
Obwohl sie gerade gegessen hatte, bekam Malti ein flaues Gefühl im Magen. »Aber Raja ist doch erst in sechs Monaten mit dem College fertig.«
Sie beobachtete einen kleinen, klebstoff-farbenen Gecko an der
Wand. »Haben … haben sie schon einen Jungen gefunden?« Der Gecko schien zu zwinkern.
»Aré, setz dich doch mal. Ich bekomme Kopfweh, wenn ich die ganze Zeit zu dir hochsehen muss.«
Malti setzte sich auf den Boden und stellte das Tablett neben sich ab.
»Sie haben eine Familie im Auge, anscheinend kennt dein Bruder den Jungen. Sie waren vor ein paar Jahren auf demselben College. Aber natürlich möchte die Familie dich vorher in Augenschein nehmen. Glücklicherweise wohnen die Leute in Hastinapore, auf der anderen Seite der Stadt, und man hat mich gebeten, mich zu vergewissern, dass alles seine Richtigkeit hat. Sie kommen heute Nachmittag, nach dem Essen. Ich habe dem Heiratsvermittler gesagt, das sei die beste Zeit. Ich brauche meinen Mittagsschlaf.
Du ziehst am besten den Sari an, den meine Tochter dir das letzte Mal gegeben hat. Du sollst dich schließlich von deiner besten Seite zeigen.«
»Ja, Ganga Ba.«
Ganga Ba musterte Malti scharf, sah, wie blass sie geworden war und dass sie die Hände zu Fäusten geballt hatte. »Malti, du darfst jetzt nicht krank werden. Dies ist der wichtigste Moment in deinem Leben. Du wusstest doch, dass es irgendwann so weit sein würde.«
»Ja, ja, natürlich. Es kommt mir trotzdem ein bisschen plötzlich vor.« Malti holte tief Luft. Der Gecko öffnete den Mund, wie um zu gähnen, als ob sich seit dem Morgen nichts verändert hätte. Aber Malti wusste es besser.
»Mir gefällt es hier. Ich arbeite gern bei Ihnen. Aber wenn meine Eltern einen Jungen für mich ausgesucht haben …« Der Satz war eine Frage, voller unausgesprochener Möglichkeiten.
»Anscheinend haben diese Familien dich ausgesucht. Der Heiratsvermittler hat zwei Heiratsanträge vorliegen. Beide Familien sind aus Hastinapore. Dein Vater hat mit Hilfe des Heirats
vermittlers die ausgewählt, die am geeignetsten erscheint. Auch wenn du bei mir gearbeitet hast, hat dein Vater immerhin etwas gespart, und deine Kaste passt auch. Es handelt sich um eine gute Familie. Das Angebot ist besser, als man hätte erwarten können. Natürlich trägt der Umstand, dass dein Bruder studiert, einiges dazu bei. Und sie möchten ausdrücklich ein Mädchen vom Land und keine anspruchsvolle Städterin.
Du brauchst nichts weiter zu tun, als dich begutachten zu lassen. Und anstelle deines Vaters werde ich die Verhandlungen führen.« Ganga Ba hob die Hand, um Maltis unausgesprochene Bedenken zu zerstreuen.
»Ja, ja, ich weiß, es ist ungewöhnlich, aber ich werde mich um alles kümmern. Es wird schon schwierig genug, Ersatz für dich zu finden, da kann ich auch darauf achten, dass alles korrekt vonstatten geht. Ich bin überzeugt, dass eure Shami Ben sich auskennt, aber sie verfügt sicher nicht über meine Erfahrung. Auch wenn die Familie mir zusagt, wirst du nicht heiraten, bevor du achtzehn bist. Das finde ich zwar immer noch zu jung, aber wenigstens ist es legal. Ich habe einen Ruf zu verlieren und kann nicht erlauben, dass meine Dienstboten gegen das Gesetz verstoßen. Also, geh jetzt wieder an die Arbeit, Malti. Wir sprechen uns, wenn sie wieder weg sind. Und vergiss nicht, den guten Sari. Gleich nach dem Mittagessen.«
Malti kehrte in die Küche zurück. Brahmanji war allein und hatte inzwischen das Gemüse sortiert. Er deutete auf das Tablett mit den Erbsen. Malti setzte sich auf einen niedrigen Hocker und fing an, sie aus den Schoten zu schälen. Sie ließ die Erbsen auf einen großen Teller fallen. Die Schoten warf sie neben sich auf den Boden. Brahmanji arbeitete schweigend. Wie immer.
Heiraten. Das war ein so großer Schritt. Die Entscheidung musste sehr plötzlich gefallen sein. Bei ihrem letzten Besuch und auch als sie das letzte Mal mit ihren Eltern gesprochen hatte, hatten sie nichts von irgendwelchen Heiratskandidaten erwähnt. Anders als viele ihrer Freundinnen rief Malti ihre Eltern regel
mäßig an. Sie sparte eigens einen Teil ihres Lohns für diese Anrufe.
An jedem ersten Sonntag im Monat um drei Uhr nachmittags suchte sie das rote Telefonhäuschen neben dem Panwalla auf. Dort
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