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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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behaupten. Sie hatte einige großartige Kräche, denn ihr Mann war auf seine Weise ebenso stur und abenteuerlustig wie sie gewesen. Er hatte beschlossen, nach Hastinapore zu gehen und an einem Staudammprojekt zu arbeiten, statt in Baroda bei seiner Familie zu blei
ben. Ganga Ba hatte die Heirat mit ihm nie bereut. Und er fehlte ihr noch immer. Sooft sie sich auch gestritten hatten, er war der erste Mensch gewesen, der sie für ihr Streben nach Unabhängigkeit bewundert hatte.
    *
    Kalu blickte an seinem alten Banyan hinauf. Seine Luftwurzeln schienen jetzt dichter als in seiner Kindheit, und die Äste wirkten dünner. Er ging zwischen den Stämmen einher und nahm in Augenschein, welche Wurzeln sich in der Erde verankert hatten und neue Stützen bildeten, bevor er sich wieder dem Hauptstamm zuwandte.
    Er ging in die Hocke, lehnte sich dagegen und legte eine Hand und ein Ohr an den Baum. Die Rinde war dick und schwielig wie seine Finger. Es war, als verlangsame sich die Zeit und käme für einen Moment zum Stillstand. Fast glaubte er den Abdruck des kleinen Kalu zu spüren, der seine Hand genau an diese Stelle zu legen pflegte.
    Unter diesem Baum hatte Kalu gelernt zu überleben. Gelernt für jeden Menschen, dem er begegnete, ein anderes Lied zu singen. Gelernt, sich zu tarnen. Malti durchschaute diese Tarnung, doch nur Vaid Dada und Bal sahen das Ganze.
    Ein Blatt, nur zur Hälfte braun, segelte zur Erde. Kalu ergriff eine der langen Luftwurzeln und zog sich so hoch hinauf ins Geäst, dass er die Frauen am Fluss sehen konnte. Die Äste gaben ihm bequemen Halt. Es gab nur einen Menschen, mit dem er jetzt sprechen wollte. Kalu legte die Flöte an die Lippen und begann zu spielen.
    Er rief nach Malti. Langsam entspannte er sich in der vertrauten Geborgenheit des Baumes. Sein Körper befand sich im Schatten, während das Licht der Sonne seine Füße sprenkelte und die Töne sich hinaufschwangen und über ihn hinwegglitten. Wenn er auf die richtige Weise spielte, würde sie kommen. Der Raga Shri erhob sich hoch in die Luft wie ein Leuchtfeuer.
    »Hallo, Großauge!«
    Er hörte sie, bevor er sie sah, und spielte absichtlich weiter. Dann unterbrach er sich lachend und rutschte den Baum hinunter. Nebeneinander setzten sie sich auf ihren alten Platz. Malti sah lächelnd zu ihm auf. Das Bündel nasser Wäsche neben ihr sagte ihm, dass er richtig vermutet hatte und sie gerade vom Fluss kam. Einiges hatte sich nicht verändert. Zumindest noch nicht.
    Malti berührte ihn an der Schulter. »Du hast Glück, dass ich weiß, wo ich dich finde. Die anderen Mädchen am Fluss sind gleich zu Ganga Bas Haus gerannt. Vor allem Rani ist ganz verrückt nach dir. ›Kalu, Kalu ist wieder da!‹ Malti ahmte das jüngere Mädchen nach, indem sie mit den Wimpern klimperte, bis Kalu sie in den Korb mit der nassen Wäsche schubste. »He, pass auf, Yar, sonst muss ich alles noch einmal waschen.«
    »Würde dir recht geschehen.«
    »Also …«, sagte sie.
    »Also«, echote Kalu. »Ich habe da etwas von einer Hochzeit läuten hören.«
    Malti errötete.
    Kalu schubste sie noch einmal. »Und, sieht er gut aus? Ist er reich?«
    »Kalu! So was hätte ich von den Mädchen erwartet, aber nicht von dir!«
    Malti wollte Kalu ins Gesicht schauen, starrte aber stattdessen auf ihre Finger und knetete sie. »Ich habe ihn noch nicht gesehen. Er kommt erst zur Hochzeit nach Hastinapore zurück. Die Eltern scheinen ganz in Ordnung zu sein. Ein bisschen streng zuerst, aber ich glaube, das meiste davon war Theater. Als Ganga Ba einmal ja gesagt hatte …«
    »Wieso Ganga Ba?«
    »Du kennst sie doch. Sie muss immer das letzte Wort haben. Aber als sie ja gesagt hat, wurden sie weich, fast als fürchteten sie, ich würde ablehnen. Als ob ich etwas zu sagen hätte!« Malti
lächelte. »Sie sind jedenfalls aus der passenden Kaste und gut gestellt. Ich verbessere mich durch meine Heirat, sagt Ganga Ba. Anscheinend kennt Raja den Jungen, er war ein paar Semester über ihm auf dem College. Das hat meine Mutter überzeugt.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und schaute auf. »Das ist eigentlich schon alles.«
    »Das ist alles?« Kalu sah Malti forschend ins Gesicht. Er hätte nicht gedacht, dass sie diese Entscheidung so leichtnehmen würde. Er kannte sie anders. »Du bist bereit, diesen Mann zu heiraten, nur weil Ganga Ba und deine Mutter es für richtig halten? Einen Mann, den du noch nie gesehen hast?«
    »Nein. Ja. Nein. Weil ich es für richtig halte.« Malti sah

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