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Der Klang der Sehnsucht - Roman

Der Klang der Sehnsucht - Roman

Titel: Der Klang der Sehnsucht - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Insel Verlag
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Schließlich verließ ihr Mann sie und zog
aus Hastinapore fort. Er ließ Jasu das Haus und einen Beutel Geld. Jasu hörte nie auf, mit sich selbst zu reden. Oder sie sang und lächelte irre dabei.
    Ganga Ba hatte Brahmanji beauftragt, Jasu zu essen zu geben, sooft sie vorbeikäme. »Es gibt viele Arten von Menschen, Malti. Gott weiß, auch wir hätten werden können wie Jasu, wenn das Schicksal es uns bestimmt hätte. Aber ich bin überzeugt, dass du seelisch stärker bist. Ich weiß, dass ich es bin. Hätte sie mich um Rat gefragt, hätte ich ihr vielleicht helfen können, ihr Leben besser zu meistern.«
    Aber mitunter, dachte Malti, meistert das Leben dich. Sie dachte an ihre Hochzeitsnacht, in der ihr Mann sie bis zum Morgengrauen allein gelassen hatte. Damals war sie wütend gewesen. Inzwischen betrachtete sie diese Nacht als Gnadenfrist.
    Kapitel 10
    Tulsi schlüpfte durch das geöffnete Tor und schlich durch den Garten. Die anderen Kinder spielten Kricket. Kalu kam noch immer manchmal ins Dorf, um mitzumachen, aber er musste sehr viel üben. Schon lange hatte er kein ganzes Match gespielt. Tulsi ließ sich ruhig an der Wand nieder, die dem Fenster am nächsten war, damit sie Kalu spielen hörte.
    Die Musik von Kalu und seinem Lehrer ertönte jetzt unmittelbar über ihr. Die Flöte, die Tanpura und die Stimme des Guruji beruhigten sie, gaben ihr Halt.
    Schließlich entdeckte der Guruji die Kleine. Sie war fast eingeschlafen und hatte sich unter dem Fenster zusammengerollt, während ihre Hände und Füße sich leicht im Takt mit Kalus Flöte bewegten. »Na, die Musik gefällt dir wohl?«
    Tulsi sprang auf. Sie erinnerte den Guruji an einen Faun, der vor Schreck nicht wusste, ob er flüchten oder bleiben sollte.
    »Dann komm mal rein. Was hat es für einen Sinn, hier draußen zu sitzen, wenn drinnen die Musik spielt.« Der Guruji streckte ihr eine Hand entgegen und zog sie sanft an ihrem kleinen Finger ins Haus.
    Kalu richtete sich auf, als sein Lehrer Tulsi ins Zimmer führte. »Guruji! Das ist Tulsi. Sie hört so gerne Musik, und sie kann doch nicht –«
    »Dessen bin ich mir bewusst«, sagte der Mann. »Das Kind beweist guten Geschmack, wenn ihm unsere Musik gefällt. Ich werde mir das zunutze machen. Kannst du singen, Mädchen?«
    Tulsi schüttelte den Kopf.
    »Aber Guruji –«
    »Kalu, ich rede mit dem Mädchen.« Er wandte sich wieder Tulsi zu und tätschelte ihren Arm. »Achte gar nicht auf ihn, er ist manchmal ein etwas vorwitziger Bengel.« Tulsi lächelte. Kalu stöhnte und beschloss, den Mund zu halten.
    »Also Kalu, ich möchte, dass du jetzt spielst. Spiel den Raga Yaman, den wir geübt haben. Leg dein ganzes Herz und deine ganze Seele hinein. Du, Tulsi, hörst zu, und wenn du so weit bist, summst du mit. Es macht nichts, wenn du nicht alle Töne oder die Melodie erkennst. Das stört Kalu nicht.« Der Guruji warf Kalu einen durchdringenden Blick zu, ehe er sich wieder an Tulsi wandte. »Das ist keine Prüfung, meine Kleine. Mach einfach die Augen zu, und überlasse dich ganz der Musik.«
    Auch Kalu schloss die Augen, als er zu spielen begann. Hell und leicht flossen die Töne aus seiner Flöte. Tulsi flog über die Berge bis ans Meer. Noch nie hatte sie sich so frei gefühlt. Gegen einen Stapel Kissen neben der Sarod gelehnt, blieb sie die ganze Stunde. Sie fuhr das komplizierte Muster zwischen Klangkörper und Hals des Instruments nach, hütete sich aber, die Saiten zu berühren. Wie ruhig und friedlich es hier war. Sie brauchte nichts zu tun oder sich auf irgendeine Weise Gehör zu ver
schaffen. Der Stift und der Block, die sie immer bei sich hatte, ruhten auf dem Boden. Sie konnte einfach nur der Musik lauschen und lernen, warum die Töne auf die ein oder andere besondere Weise gespielt wurden.
    Niemals gab der Guruji zu erkennen, dass er wusste, dass Tulsi nicht sprechen konnte, und behandelte sie stets, als wäre an ihrem Schweigen nichts Bemerkenswertes. Sie solle mindestens einmal in der Woche vorbeikommen, falls sie sich wirklich für die Musik interessiere.
    Mit der Zeit konnte sie die verschiedenen Ragas unterscheiden. Jeder betonte einen anderen Aspekt und hatte andere Eigenschaften. Bisweilen wirkte sich schon die winzigste Veränderung auf die gesamte Stimmung eines Raga aus.
    Ebenso änderte sich Tulsis Stimmung, wenn Kalu gut spielte. Je mehr sie lernte, desto kritischer wurde sie, lächelte, wenn die Stunde gut verlief, und schüttelte den Kopf oder runzelte die Stirn bei einer

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