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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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jetzt, wann dann ? Das Feuer – ihre Ansichten dazu, unser Streit darüber – war nur eine Etappe in einem weit größeren Plan. »Ob ich ... wo geht ihr denn überhaupt hin?«
    Ruth lachte, ein solides Altistinnenlachen, tief aus dem Bauch. »Mal hierhin, mal dahin, Bruder.« Sie wischte sich die Tränen aus den Augen. »Du brauchst es nur zu sagen. Wohin du willst.«
    Robert strahlte wie die Sonne. »Alles wird wahr. Wir müssen nur hart genug dafür kämpfen.«
    Ich zögerte. Ein paar Sekunden lang war ich einfach nur glücklich, dass ich meine Schwester wieder gefunden hatte.
    »Wir brauchen dich, Joey. Du bist klug, aufmerksam, gebildet. Leute sterben, in Chicago, in Mississippi. Mein Gott, sogar hier in Brooklyn. Die Menschen sterben in Massen, weil sie es leid sind, jeder für sich zu sterben.«
    »Was wollt ihr ...«
    »Wir arbeiten für den großen Tag, Bruder. Es ist gar nicht schwer. Wir sind überall.«
    »Ist es eine Art Organisation?«
    Ruth und Robert sahen sich an. Sie führten eine stumme Verhandlung, sie studierten meine Akte und beschlossen Stillschweigen zu wahren. Vielleicht fällte Robert die Entscheidung, aber meine Schwester trug sie mit. Warum hätten sie mir auch trauen sollen ? Es war ja klar, auf welcher Seite ich stand. Ruth beugte sich vor und fasste mich am Ellbogen. »Joey, du könntest so viel tun. So viel für Leute wie uns. Warum bleibst du ...?« Sie sah Robert an. Er würde ihr nicht helfen. Ein weiterer Pluspunkt für ihn, weil er mich nicht automatisch verurteilte. »Du lebst in einer anderen Zeit, Bruder. Sieh dir doch nur das Zeug an, das du verkaufst. Sieh dir die Leute an, die es kaufen. Du begreifst gar nicht, was du da machst. Wie kannst du diese gequirlte Scheiße spielen, wo deine eigenen Leute nicht mal als Straßenkehrer Arbeit finden? Von Gerechtigkeit vor Gericht ganz zu schweigen. Du spielst für diese arroganten, machtgeilen ...« Sie dämpfte ihre Stimme. »Ist das die Welt, in der du wirklich leben möchtest? Möchtest du nicht lieber für die Zukunft arbeiten?«
    Ich kam mir vor wie Methusalem. »Was ist die Zukunft, Ruth?«
    »Spürst du das nicht?« Ruth wies auf das Fenster hinter mir – die Welt von 1967. Ich musste mich zwingen, dass ich mich nicht umdrehte und nachsah. »Alles ist in Bewegung. Alle alten Mauern fallen. Überall gibt es neue Musik.«
    Ich hörte Jonah, wie er in seinem swingenden Falsett »Dancin' in the Streets« sang. Ich hob den Kopf. »Weißt du, wir spielen eine Menge neuer Musik. Dein Bruder ist sehr aufgeschlossen.«
    Ruths Lachen klang spröde. »Das Spiel ist aus, Joey. Die Welt, für die ihr euer Leben gegeben habt, ist am Ende.«
    Ich blickte auf meine Hände. Unwillkürlich hatten sie auf der Tischplatte Klavier gespielt. Als ich sie ertappte, hielten sie sofort inne. »Was sollte ich deiner Meinung nach stattdessen tun?«
    Ruth sah Robert an. Wieder der warnende Blick. »Es gäbe so viel zu tun für jemanden wie dich, ich wüsste gar nicht, wo ich mit dem Aufzählen anfangen sollte.«
    Eine schreckliche Ahnung beschlich mich. Ich wollte das Beweismaterial gar nicht sehen. »Ihr zwei seid doch nicht in irgendwas Kriminelles verstrickt?« Ich hatte sie ja längst verloren. Da konnte ich auch noch mehr verliern.
    Meine Schwester lächelte weiter, aber ihre Züge spannten sich. Sie schüttelte den Kopf, doch nicht im Widerspruch. Robert riskierte noch weitaus mehr als ich. »Kriminell? Das ist keine vernünftige Kategorie. Überleg doch mal, wie lange das Gesetz schon gegen uns arbeitet. Wenn die Gesetze korrupt sind, muss man sich nicht mehr daran halten.«
    »Wer entscheidet das? Wer bestimmt, ob das Recht –«
    »Wir. Das Volk. Du und ich.«
    »Ich bin hier nur der Klavierspieler.«
    »Du bist alles, was du sein willst, Mann.«
    Ich drückte mich ganz in die Ecke meiner Bank. »Und wer bist du, Mann?.«
    Robert sah mich an, überrumpelt, ein Angriff aus dem Hinterhalt. Ich hatte Wut zeigen wollen; stattdessen bekam ich Schmerz. Ich hörte meine Schwester sagen: »Robert ist mein Mann. Mein Ehemann.«
    Eine Weile lang brachte ich überhaupt nichts hervor. Dann sagte ich: »Na dann meinen Glückwunsch.« Jede Chance, mich für die beiden zu freuen, hatte ich verpasst. Ich hätte auf ihrer Hochzeit gespielt, die ganze Nacht lang, alles was sie sich gewünscht hätten. Jetzt konnte ich bloß noch die Nachricht zur Kenntnis nehmen. »Das ist ja toll. Seit wann?« Ruth antwortete nicht. Und ihr Mann auch nicht. Alle drei saßen

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