Der Klang der Zeit
entdeckt hatte. Sie wollte, dass ich daran teilhatte. Ich musste zuhören, mit so viel Anerkennung, so viel Begeisterung, dass sie nicht aufhörte zu reden, musste mit Tricks ihre Adresse aus ihr herausbekommen, die ich dann meinem Bruder und meinem Vater weitergab.
Sie wandte sich an Robert, der in sein Bierglas starrte. »Joey hier spielt einen heißen Schubert. Wenn die Schwarzen das Wahlrecht hätten, würden sie ihn zum Kultusminister wählen.«
Robert hob das Glas und versteckte sein Grinsen dahinter.
»Bist du noch in der Stadt, Ruth?« Ich machte eine Handbewegung zum Fenster. »Oder lebst du jetzt anderswo?«
»Ach, wir wohnen mal hier, mal da.« Ich sah Robert an, aber das »wir« umfasste offenbar eine größere Gemeinschaft als sie beide. »Wir ziehen von Stadt zu Stadt. Genau wie du und Jonah. Vielleicht nicht ganz so luxuriös.« Ich merkte, dass ich zu viel grinste. »Joey verbringt sein Leben in Hotels«, erklärte Ruth. »Hast du schon mal erlebt, dass sie plötzlich kein Zimmer mehr für dich hatten, Joey? Dass sie dir ein anderes Haus empfahlen?«
Ich schwieg. Ich wusste nicht, was sie mir vorzuwerfen hatte, außer dass ich existierte. Aber auch wenn sie mich noch so herausfordernd ansah, sah ich ein Zittern auf ihren Wangen. »Jetzt sag, Joseph, was machst du so? Geht es dir gut?«
»Alles bestens. Nur du fehlst mir.«
Sie wandte den Blick ab, sah alles an, nur nicht mich. Jetzt zuckte ihr ganzes Gesicht. Robert reichte ihr eine große schwarze Ledertasche. Ruth wühlte darin und holte einen braunen Umschlag hervor. Sie legte ihn vor mir auf den Tisch. »Robert hat mir gezeigt, was hinter dem Feuer steckt.«
Bizarre Gedanken zuckten mir durch den Kopf. Meine Schwester war einer Sekte in die Fänge geraten. Sie hatte sich auf krumme Geschäfte eingelassen. Aber als ich den Umschlag öffnete, wusste ich, von welchem Feuer sie sprach. In dem Umschlag waren Fotokopien von Dokumenten, alle ein Dutzend Jahre alt. Ruth hielt den Atem an, als ich sie studierte. Hier stand etwas auf dem Prüfstand – ich, die beiden, das Land, die gesamte Vergangenheit. Ich las, so gut ich konnte, aber es war nicht leicht unter diesen forschenden Blicken.
»Unser ganzes Leben lang haben wir uns damit beschäftigt. Ich weiß, dich hat es auch nicht losgelassen. Aber erst als ich Robert kennen lernte und ihm die ganze Geschichte mit Mama erzählte ... Es ist so offen-sichtlich, Joey. So offensichtlich, dass erst jemand kommen und es mir erklären musste.«
Ich blätterte in dem Polizeibericht über den Brand unseres Elternhauses in Hamilton Heights. Alles ging bis ins bleiernste Detail: Maße, Uhrzeiten, eine Liste des verbrannten Hausrats. So las sich also die Zerstörung meines Lebens, wenn Beamte den Bericht verfassten. Das zehnjährige Mädchen, das sich mit einem Biss aus dem Griff des Feuerwehrmanns befreien und seine Mutter retten wollte, hätte ohne Hilfe von außen keinen Absatz davon überlebt. Ich überflog die beiden letzten Seiten und blickte auf. Ruth starrte mich an, erwartungsvoll, ängstlich. »Siehst du es jetzt? Verstehst du, was das bedeutet?«
Sie wühlte in den Bögen, fand die Stelle, die sie suchte. Sie drehte das Blatt zu mir hin, markierte die entscheidende Stelle mit dem Fingernagel. In Romanen sind es oft die Fingernägel, an denen man eine Figur unbe-stimmter Rasse als schwarz erkennt. Ruths Nagel wies auf das Wort Brandbeschleuniger. Spuren von Brandbeschleunigern im gesamten Unter-geschoss.
»Du weißt, was das ist?«
»Alte Putzlumpen. Halb leere Benzinkanister. Der ganze Krempel, den Mrs. Washington im Keller hatte.«
Sie zögerte, sah Robert an. Dann nahm sie einen neuen Anlauf. »Sachen, die ins Haus gebracht wurden, damit es besser brannte.«
Robert nickte. »Mit Absicht.«
»Wo ... Wie kommt ihr ...« Ich starrte auf das Blatt, las verzweifelt. »Hier steht nichts dergleichen.«
»Das weiß doch jeder.« Robert sagte es mit Gusto.
»Brandbeschleuniger ist nur ein anderes Wort für Brandstiftung«, fügte Ruth hinzu.
Ich saß da, schüttelte den Kopf. »Das steht hier nicht. Dieser Bericht deutet nicht einmal –«
Ein knappes, bitteres Lachen von Robert ließ mich verstummen. Ich war hoffnungslos naiv. Schlimmer noch: ein weltfremder Musiker. Solange es Brüder wie mich gab, würde der Brand für immer ein Unglücksfall bleiben, ganz wie die Behörden es wünschten.
»Und wenn es Brandstiftung war ...« Ruth wartete, dass ich ihren Gedanken zu Ende dachte. Aber ihre
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