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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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wir verlegen da, jeder in seiner eigenen Hölle. »Wann hättet ihr es mir gesagt?«
    »Wir haben es dir doch gerade gesagt, Joe.«
    »Wie lange haben wir hier gesessen?«
    Ruth sah mich nicht an. Aber Robert stellte sich meinem Blick. »Wir wollten es überhaupt nicht sagen«, murmelte er.
    Ich rückte so weit ab wie ich konnte. »Wieso? Was habe ich euch bloß getan?«
    Ruth drehte sich um. Was hast du jemals für mich getan?, schien ihr Blick zu sagen. Aber dann wurde sie doch weich. »Nicht du, Joey. Wir wollten nicht, dass ... die anderen es erfahren.«
    »Die anderen? Du meinst Pa?«                                                           
    »Er und ... dein Bruder.«                                                                     
    »Ruth, warum denn nur? Wie kannst du den beiden das antun?« Sie schmiegte sich an ihren Mann, legte den Arm um ihn. Er fasste sie um die Taille. Mein Schwager. Ihr Schutz gegen alles, was ich sagen konnte. Gegen alles, was wir drei ihr jemals angetan hatten. »Sie haben sich entschieden. Ich habe nichts mehr mit ihnen zu tun.«
    Alles an dieser Erklärung klang falsch, gewollt. Und aus meiner Sicht schien mir auch die Ehe meiner Schwester – ich konnte mich nicht an das Wort gewöhnen – von Anfang an zum Scheitern verurteilt. »Sie müssen es doch wissen. Sie freuen sich für euch.« Es klang nicht einmal kleinmütig.
    »Irgendwas finden sie, womit sie mich und meinen Mann beleidigen können. Den Spaß gönne ich ihnen nicht. Untersteh dich, es ihnen zu sagen. Sie sollen nicht einmal wissen, dass du hier warst.« »Ruth, was ist nur geschehen? Was ist in dich gefahren?« »Nichts ist in mich gefahren, Bruder. In mir ist immer noch das, was von Anfang an da war. Von Geburt an.« Sie streckte den Arm aus, als wolle sie ihn mir als Beweisstück zeigen.
    »Wie kannst du Pa so behandeln, Ruth ? Der Mann ist dein Vater. Was hat er dir je –«
    Sie pochte auf ihre Tasche, den braunen Umschlag. »Er wusste es. Der Mann wusste alles über diese Berichte, schon vier Wochen nach dem Brand.«
    »Ruth, das kannst du doch nicht mit –«
    »Kein Wort zu uns. Nicht damals. Und auch nicht als wir größer waren. Alles war immer nur ein Unfall. Nur Schicksal. Er und seine so genannte Haushälterin –«
    »Mrs. Samuels? Was hat denn Mrs. Samuels damit –« »Die zwei haben uns aufgezogen wie nette kleine weiße Kinder. Seht keine Rasse, hört keine Rasse, singt keine Rasse. Jeden Tag, von morgens bis abends hat die ganze Familie so getan als ...« Sie zitterte am ganzen Leib. Robert Rider, ihr Mann, legte ihr den Arm um die Schulter, und sie ließ sich fallen. Sie legte ihm den Kopf an die Brust. Robert saß einfach nur da und streichelte ihren wilden Haarschopf. Ich hätte gern wieder ihre Hand gefasst, aber sie zu trösten stand mir nun nicht mehr zu.
    »Das war die Lösung, die sie hatten, Ruth. Sie wollten die Welt voranbringen. Auf kürzestem Wege in die Zukunft, in nur einer Generation. Der Sprung in ein Leben, in dem es keine Stammeskriege mehr gab.«
    »Und wohin haben sie uns gebracht?«, zischte sie. »Soll das hier die Zukunft sein?« Ich wartete, dass sie den Gedanken zu Ende dachte. Aber das hatte sie längst getan.
    »Wenn Pa auch nur eine Minute lang geglaubt hätte ...« Eigentlich wusste ich gar nicht, was ich sagen wollte. »Ganz egal was er uns über dieses Feuer gesagt oder nicht gesagt hat, er hat es aus Achtung vor ihr getan. Da bin ich sicher.«
    Ruth hob die Handflächen, gebot Schweigen. Sie hatte genug von mir und meinesgleichen. Sie löste sich aus der Umarmung ihres Mannes, fuhr sich mit der Hand durch die Haarkugel und betupfte beide Augen mit einem zusammengeknüllten Taschentuch. Als sie das Tuch wegsteckte, war sie wieder ruhig. Bereit für all das, was in der Welt getan werden musste und wovon ihre Eltern ihr nie ein Wort gesagt hatten. Sie nahm ihre Tasche und erhob sich, und ihre nächsten Worte schienen eher an ihre Armbanduhr gerichtet als an mich. »Du musst dich von diesem Mann trennen, Joey.«
    »Dem Mann? Trennen?«
    »Er hat dich immer nur ausgebeutet. Vom ersten Tage an.«
    »Pa? Pa hat mich ausgebeutet?«
    »Nicht Pa.« Ihr Mund war vor Gram verzerrt. Sie brachte den Namen nicht über die Lippen.
    »Jonah?« Ich wies auf ihre Tasche, das Beweismaterial. »Jonah weiß von alldem überhaupt nichts. Du kannst nicht

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