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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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sagen, er streitet es ab, wenn du nie –«
    »Jonah«, verkündete sie mit der Stimme eines Ansagers, der in der Met einen Starauftritt ankündigt, »weiß nicht viel über die Welt draußen vor seinem Elfenbeinturm.« Robert lachte. Ich hätte am liebsten mitgelacht. Die kleine Ruthie, unsere Stimmenimitatorin.
    »Er tut was er kann. Er hält sich an das, was er am besten beherrscht.«
    »Weißsein meinst du?« Sie winkte ab, bevor ich widersprechen konnte. »Du brauchst ihn nicht zu verteidigen, Joey. Wirklich nicht. Ich verrate sein kleines Geheimnis bestimmt niemandem!«
    »So eine Stimme, die könnten wir brauchen.« Die Art, wie Robert das sagte, ließ mich vermuten, dass er ihn gehört hatte. Sie war heimlich mit ihm in eins unserer Konzerte gekommen. Er hatte seinen Schwager singen hören, und selbst er war davon ein wenig grau um die Nasenspitze geworden. »Die Welt steht in Flammen. Wir brauchen jeden Mann.«
    »Er würde uns nur ausnützen«, sagte Ruth. Sie hasste ihn. Ich brachte es nicht fertig, mir das einzugestehen. Nicht einmal so lange, dass ich fragen konnte warum. »Wie sieht's aus, Bruder?« Sie holte ihren Geldbeutel hervor und suchte nach ein paar Dollars. Ich überlegte, wovon sie wohl lebte. Ich wusste nicht einmal, wie mein neuer Schwager sein Brot verdiente. »Du kennst jetzt die Fakten. Du weißt, was wirklich mit uns geschehen ist. Die Entscheidung musst du selbst fällen.«
    »Ruth. Was denn für eine Entscheidung? Bei dir klingt immer alles nach der großen endgültigen Abrechnung.« Sie legte den Kopf schief, hob die Augenbrauen. »Was soll das für eine Entscheidung sein? Ob ich lieber Klavier spiele oder ob ich dir helfe, unsere Leute zu retten?«
    »Du kannst etwas verändern. Oder auch nicht.«
    »Liebe Güte! Ihr verratet mir nicht einmal, wo ihr haust. Ihr verratet mir nicht, mit was ihr euch eingelassen habt. Seid ihr Waffenschieber oder so was? Legt ihr Bomben?«
    Roberts massige Hand kam über den Tisch und fasste mich am Handgelenk. Zielsicher, aber behutsam. Zu sanft, um mich zu erschrekken. Er wäre ein prachtvoller Cellist geworden. »Es ist so: Deine Schwester und ich sind in der Partei.«
    »Der kommunistischen Partei?«
    Ruth lachte. Sie rieb sich die Wangen. »Gib's auf. Bei dem Jungen ist Hopfen und Malz verloren.«
    Ein Lächeln huschte über Roberts Gesicht, ein Morsezeichen. »Die Panthers.« Er lehnte sich vor. »Wir helfen beim Aufbau der New Yorker Sektion.«
    Ruth hatte Recht. Ich war wirklich ein Onkel Tom. Allein der Klang des Wortes machte mir schon Angst. Ich saß eine Weile lang da, drehte den Namen in Gedanken, bis er in seine Buchstaben zerfiel. »Wo ist die schwarze Lederjacke?«
    »Zu Hause gelassen.« Robert grinste, ließ mein Handgelenk los, zeigte nach draußen. »Sah nach Regen aus.«
    War sie aus Liebe zu ihm zur Politik gekommen, oder hatte sie sich in den Mann verliebt, weil er für ihre Politik stand? »Du willst auf Leute schießen?«, fragte ich meine kleine Schwester.
    Es hatte ein nervöser Witz sein sollen. Aber sie antwortete: »Die Leute schießen auf uns.« Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich konnte keinen Atemzug tun, ohne dass ich einen aus meiner Familie verriet.
    Meine Schwester sah, in welcher Klemme ich steckte. Sie nahm Aufstellung zum Gefecht. Aber ihr Mann mischte sich ein, vermittelte. »Ein Zuhause, Brot, Bildung, Gerechtigkeit, Frieden. Darum geht es uns.«
    »Und um das Recht, in der Öffentlichkeit Waffen zu tragen.«
    Ruth lachte. »Joey! Du liest ja die Zeitung! Weiße Zeitungen natürlich. Aber immerhin.«
    Robert nickte. »Dafür kämpfen wir, ja. Was sollen wir sonst tun? Die Polizei will, dass wir mit leeren Händen dastehen. Weiße dürfen Waffen tragen, wir nicht. Solange das so bleibt, können sie mit uns machen, was sie wollen.« Mir schien es mörderischer Wahnsinn. So mörderisch wie die Straßen von Watts. Aber ich wusste ja, dass mein Leben, vom Albtraum dieses einen Abends abgesehen, wohl behütet war, wenn auch auf seine Weise irrsinniger als alles andere. »Ein Mensch muss das Recht haben, sich zu verteidigen«, sagte mein Schwager. »Solange die Polizei uns nach Belieben abschießen kann, geht es nicht anders. Sie haben die Wahl: gleiches Recht für alle oder Prügel für alle.«
    Er sagte es ohne Pathos. Die Worte gingen fast im Lärm des Raumes unter. Ich begriff, was Ruth an diesem Mann imponierte. Selbst ich sehnte mich nach seiner Anerkennung, und dabei kannte ich ihn kaum. Ruth zerrte an

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