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Der Klang der Zeit

Der Klang der Zeit

Titel: Der Klang der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Powers
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Augen verrieten, dass sie die Hoffnung schon aufgegeben hatte.
    Robert blickte zum düsteren Horizont. »Wenn es Brandstiftung war, dann war es Mord.«
    Ich starrte die abgegriffenen Kopien an, suchte nach einem Faktum, das mir Halt geben konnte. »Ruth, du kannst das nicht einfach so sagen. Du hast keine Beweise. Das ist Irrsinn.«
    »Da hast du Recht«, stimmte Ruth mir zu. Robert Rider rührte sich nicht.
    Dann fuhr mir eine Stichflamme des Feuers, das mir meine Mutter genommen hatte, das Rückgrat herauf und zerplatzte in meinem Hirn. Der Boden unter meinen Füßen löste sich auf. Ich streckte die Hände aus, klammerte mich an den Tisch, ein Blockakkord über die gesamte Klaviatur, und doch kam kein Ton. Ein ganzes Jahrzehnt von kindlichen Albträumen, Mamas Erstickungstod in allen Variationen, wogte über mich hinweg, im vollen Tageslicht des Erwachsenen. Ich durfte diesen Gedanken nicht zulassen. Den Gedanken, den ich im Kopf hatte.
    Ich blickte auf zu Ruth. Ihre Konturen verschwammen. Sie sah die Furcht in meinen Augen. »Oh, Pa hatte nichts damit zu tun.« Durch die Verachtung schimmerte ein Körnchen Mitleid. »Der ist so einfältig, der würde nie kapieren, wo das Feuer herkam. Aber er ist verantwortlich für ihren Tod, genau als ob er sie selbst angesteckt hätte.«
    Der Wahnsinn dieser Worte brachte mich in die Gegenwart zurück. »Ruth. Du bist verrückt.« Sie starrte mich an, wild entschlossen, sich um jeden Preis zu behaupten. Ich blickte wieder hinab zu den Beweisen, die keine waren. »Wenn die Polizei Hinweise auf Brandstiftung hatte, wieso ist dann in dem Bericht nicht von Brandstiftung die Rede?«
    »Warum sollten sie sich die Mühe machen?« Ruth ließ den Blick über das gut besetzte Lokal schweifen. »Es war ja niemand zu Schaden ge-kommen. Nur eine schwarze Frau.«
    »Und warum haben sie dann die Brandbeschleuniger überhaupt erwähnt?«
    Ruth zuckte nur mit den Schultern und starrte hinaus ins Leere. Aber Robert beugte sich vor. »Dazu muss man wissen, wie diese Leute funktionieren. Sie bringen die Fakten schon irgendwie unter, damit ihnen keiner was anhängen kann, wenn es hinterher doch anders kommt. Aber nie legen sie sich so fest, dass man eine Anklage draus machen könnte. Es sei denn, es geht nicht anders.«
    »Ich verstehe das nicht. Wieso hätte es Absicht sein sollen? Wer hätte ein Interesse ...?«
    Ruth hob die Hand. »Ein weißer Mann, verheiratet mit einer schwarzen Frau? Sechs Millionen Menschen in New York haben diese Bombe gelegt.«
    »Ruth! Es gab keine Bombe. Der Heizkessel ist explodiert.«           
    »Jemand hat dafür gesorgt, dass es gut brennt.«
    Gewalt hatte es gegeben, immer wieder, ihr ganzes Leben lang. Worte, finstere Drohungen, Stöße, Spucken: All die verwirrenden Dinge, die ich in meiner Kindheit gesehen und geleugnet hatte. Aber doch nicht Wahnsinn in solchem Maßstab. »Hör mal. Wenn das ein Anschlag auf ein gemischtrassiges Paar war, dann war es auch ein Anschlag auf Pa. Woher willst du wissen, dass der Täter ...«
    »Joey. Joey.« Meine Schwester hatte Tränen in den Augen. Sie grämte sich um meinetwillen. »Warum läufst du davor fort? Siehst du denn nicht, was sie uns angetan haben?«
    Robert legte seine mächtige Pranke auf den Tisch. »Wenn die Polizei einen schwarzen Verdächtigen gehabt hätte, hätte er sechs Wochen später auf dem elektrischen Stuhl gesessen.«
    Ich blickte diesen Fremden an. Wie lange hatten die beiden an ihrer Theorie gebrütet? Wo hatten sie die Fotokopien her? Meine Schwester hatte diesem Mann mehr über den Tod unserer Mutter erzählt, als sie je mit mir geteilt hatte. Ich saß da und streifte Wassertröpfchen von der Außenseite meines Glases. Wir waren am selben Ort zur Welt gekommen, mit nur ein paar wenigen Jahren Abstand, Kinder derselben Eltern. Und jetzt lebte meine Schwester in einem anderen Land.
    »Pa hat das Geld von Mamas Lebensversicherung bekommen.« Ich be-obachtete genau, wie sie reagierte. Erst jetzt ging mir wirklich auf, wie verantwortungslos wir ihr gegenüber gewesen waren. Den größten Teil dieses Geldes hatten Jonah und ich als Startkapital für unsere Konzert-karriere bekommen. Nur ein Bruchteil war an Ruth gegangen, Schulgeld für das College. Und jetzt hatte sie die Ausbildung nicht einmal zu Ende gemacht. »Wenn die Versicherung auch nur die Spur eines Zweifels gehabt hätte ...«
    Ruth sah Robert an. Eine Lücke in ihrer Beweiskette. Ich wollte ihr Erleichterung verschaffen, aber

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