Der Klang der Zeit
Bombe.«
Delia fasst ihren Mann am Arm. Wie mag ihre Berührung sich für ihn anfühlen ? Seine Worte erleichtern sie ein wenig, deuten die Antwort auf die Frage, die sie nicht stellen kann, zumindest an. Aber nun steht dieser Brief, dies Blatt Papier zwischen ihnen. Die Frage, die ihr Vater stellt, lastet schon seit Wochen auf ihr. Und jetzt sieht sie, dass ihr Mann sie sich noch gar nicht gestellt hat. David nimmt das Blatt zurück, nimmt seine Strafübung wieder auf, die Lektüre in der fremden Sprache.
Dieses Land muss die Gefahr seines Tuns begreifen. Mit Sicherheit ist ihm bewusst, wie dieser Akt einmal in den Geschichtsbüchern dastehen wird. Wäre das Land bereit gewesen, diese Bombe auch auf Deutschland zu werfen, das Land deines geliebten Bach und Beethoven? Hätten wir damit auch eine europäische Hauptstadt vernichtet? Oder war dieser Massenmord an Zivilisten von vornherein nur für die dunkleren Rassen gedacht?
Das ist zu viel für David. »Jawohl!«, brüllt er. Noch nie hat sie solche Ve-hemenz in seiner Stimme gehört. »Natürlich hätte ich sie auch auf Deutschland geworfen! Denkt doch nur, was Deutschland Leuten wie mir angetan hat, allen meinen Verwandten, meinem Volk! Wir haben sämtliche deutschen Städte bombardiert, Tag und Nacht. Jede Kathedrale in Schutt und Asche gelegt. Wir mussten diese letzte Bombe bauen, bevor Heisenberg sie baute. Alle Deutschen ...«
Sie nickt, fasst ihn am Ellbogen. Auch ihr Vater hat Davids Militärarbeit nach dem wenigen, was David ihm erzählen konnte, begrüßt. Auch der Doktor war überzeugt, dass sie die amerikanische Zukunft so schnell wie möglich einläuten müssten. Aber ihr Vater hatte nicht gewusst, was er da unterstützte.
Sei versichert, dass ich dir keine Vorhaltungen mache; aber es gibt ein paar Dinge, die ich wissen muss. Du hast aus nächster Nähe gesehen, worüber ich nur spekulieren kann. Ich hatte mir einen anderen Sieger, einen anderen Frieden ausgemalt, einen, nach dem es nie wieder Weltherrschaft geben würde. Wir kämpften gegen Faschismus, Völkermord, all die Auswüchse der Macht. Jetzt haben wir zwei Städte dem Erdboden gleich gemacht, zwei Städte, in denen nichts ahnende braunhäutige Menschen lebten ... du wirst es vielleicht nicht verstehen, dass ich diese Bombenabwürfe mit Fragen der Rasse in Verbindung bringe. Vielleicht müsstest du einen Monat in meiner Klinik verbringen oder ein Jahr in einem Viertel wie meinem, dann würdest auch du verstehen, was ich mir von diesem Krieg versprochen habe. Ich hatte gehofft, dass dieses Land mir etwas Besseres bescheren würde. So wie der Krieg jetzt endet, welche Hoffnung haben wir da für den Frieden?
Ohne Zweifel wird diese außerordentliche Wendung unseres Schick-sals in deinen Augen anders aussehen, David. Deshalb schreibe ich. Wenn du mir erklären könntest, was ich missverstanden habe, wäre ich dir zu großem Dank verpflichtet.
Einstweilen sei versichert, dass ich dich weder für die herrschende Macht noch für das Barbarentum, weder für Europa noch für die Geschichte oder für sonst etwas halte, außer für meinen Schwiegersohn, der hoffentlich auf mein Mädchen aufpasst und auf meine fabelhaften Enkel. Ich hoffe, ihr verbringt den Labor Day bei guter Gesundheit. Ich freue mich über jede Antwort. Dein William.
David legt den Brief aus der Hand und sagt kein Wort. Er horcht; schon dafür muss sie ihn immer lieben. Er hofft auf das kleinste bisschen Harmonie. Er wartet, dass er die Musik hört, die ihm die Antwort bringt. »Ich kann hinfahren.« Seine Stimme rau wie ein zerschlissenes Seil. »Ich kann nach Philadelphia fahren und ihn besuchen.«
»Unsinn«, sagt sie, will ihn beschwichtigen und verfehlt ihr Ziel doch weit.
»Aber ich muss mit ihm sprechen. Wir müssen uns verständigen, von Angesicht zu Angesicht. Wie kann ich ihm schreiben, wenn nichts, was ich sagen muss, in meiner eigenen Sprache ist?«
Sie nimmt ihn in die Arme. »Der Doktor kann kommen und einen Hausbesuch machen, wenn er mit dir reden will. Wann ist er denn zum letzten Mal hier gewesen? Er kann die Jungs besuchen und sein Ohr an meinen Bauch halten. Ihr Männer trinkt einen Brandy, und dann könnt ihr diskutieren, wie es am besten mit der Welt weitergeht.«
»Ich trinke keinen Brandy, das weißt du doch.« Sie muss lachen, so niedergeschlagen sagt er es. Aber das Lachen muntert ihn nicht auf.
Es ist eine inspirierte Idee. Sie bringt ihre Einladung vor, gerade als Dr. Daley mit sich
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