Der Klang des Herzens
Kittys Zimmer drang Radiomusik. Sie und Mum strichen dort gerade die Wände. Mum hatte gesagt, Kitty könne sich die Farbe selbst aussuchen, egal welche. Er hatte sie fragen müssen, ob er die Planeten haben konnte. Er mochte es, das Sonnensystem an der Decke zu haben. Drinnen und draußen.
Um ihn her rauschten die Tannen, und dann und wann wehte der warme Wind ihren würzigen Duft zu ihm her. Da war es wieder, dieses Winseln. Thierry nahm die Hände aus den Taschen und ging um die Hausecke herum. Vor der verrotteten alten Kellertür blieb er stehen. Byron hatte ihm das Spurenlesen beigebracht. Und wenn er auf den Boden schaute, dann wusste er, dass diese Tür in letzter Zeit öfters aufgemacht worden war.
Er runzelte die Stirn. Wie konnte ein Fuchs eine Tür aufmachen? Noch dazu eine so schwere? Er trat näher, krallte die Finger um die Kante und zog. Dann trat er ein und wartete einen Moment, bis seine Augen sich an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Das Winseln hatte aufgehört.
Alles, was Thierry erkennen konnte, war die L-Form des Raums. Als er die Tür hinter sich zuzog und die Stufen hinabstieg, setzte das Geknurre und Gewinsel wieder ein. Er folgte den Lauten und wurde von einem vertrauten Anblick begrüßt. Er bückte sich und hob einen von Byrons Welpen aus der Schachtel, hielt ihn an seine Brust gedrückt. Er musste sie hier reingebracht haben, damit sie in Sicherheit waren, solange er arbeitete.
Thierry sank auf den Betonboden und ließ die Welpen auf sich rumkrabbeln. Sie sprangen begeistert an ihm hoch und leckten ihm das Gesicht ab, was seine Schwester ausgesprochen widerlich fand, wie sie ihm pausenlos versicherte.
Erst als sie sich beruhigt hatten und umherzuschnüffeln begannen, bemerkte er die anderen Sachen: den Klappstuhl in der Ecke, den Schlafsack, der auf einer Plane lag, einen Rucksack und mehrere Taschen und Tüten. Und dort standen auch die Näpfe der Hunde. Und auf dem kleinen Waschbecken stand ein Becher mit einer Zahnbürste und einer Tube Zahnpasta. Thierry drückte sich eine Schlange Zahnpasta in den Mund. Warum hatte Byron hier sein Quartier aufgeschlagen?
»Thierry!«, rief seine Mutter von oben. »Mittagessen! Thierry!«
Er stellte die Zahnpasta gewissenhaft in den Becher zurück. »Psst«, befahl er den Hündchen und hielt einen Finger an die Lippen, »psst!«
Thierry kannte sich mit Geheimnissen aus; er wusste, wann es besser war, den Mund zu halten. Und er wollte nicht, dass Byron glaubte, jemand habe sein Nest gestört.
Eine Hand erinnert sich lange, nachdem sie zu spielen aufgehört hat, an Musik. Genauso konnten sich Isabels Hände daran erinnern, wie sich die alte Geige angefühlt hatte. Daran musste sie denken, während sie tat, als würde sie Dvor̆ák spielen. Sie erinnerte sich an die Spannkraft der Saiten, das Holz der Geige unter ihrem Kinn. Eine solche Geige würde sie wahrscheinlich nie wieder in Händen halten, ihr seidiges Timbre hören, das vollblütige Vibrieren ihrer Saiten.
Aber nichts ist unersetzlich, versuchte sie sich einzureden.
Mit dem Sommer hatte, nach den Turbulenzen des Spätfrühlings, eine Art Frieden Einzug gehalten. Der Gemüsegarten wuchs und gedieh. Sie hatte einen großen Gefrierschrank gekauft und ihn vorläufig im Esszimmer eingesteckt, da es in der Küche immer noch keinen Anschluss gab. Und jetzt, da die Sommerferien begonnen hatten, hatte Kitty die Aufzucht und Pflege der Hühner übernommen. Sie züchtete schwarze Kotschinchinahühner, kleine Bantamhähne und riesige, plüschig-fedrige Orpingtons. Eier und Küken brachten ein zwar schmales, aber regelmäßiges Zubrot. Da die zwei Haustüren während des Tages ständig offen standen, kam es nicht selten vor, dass Isabel beim Betreten des Wohnzimmers unversehens ein Gockel mit prächtigem, buntem Schwanzgefieder vom Sofa aus böse entgegenstarrte oder im vollen Wäschekorb behaglich eine Bruthenne saß. Sie brachte es nicht übers Herz, die Kinder zu schelten. Sie hatten so eine Freude an den Küken. Und es war gut zu sehen, dass sie wieder Interesse an etwas zeigten und ihren Kummer hinter sich ließen.
Thierry verbrachte die meiste Zeit draußen im Wald mit Byron. Er brachte Pilze mit und diverse Kräuter und Pflanzen, deren Blätter sich für Salate verwenden ließen, dazu ganze Karrenladungen Feuerholz für den Winter. Isabel stellte sich dann vor, wie er nach seinem Hündchen rief, das Byron ihm
nun endgültig geschenkt hatte. Der Ausdruck auf seinem Gesicht, als er
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