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Der Klang des Herzens

Titel: Der Klang des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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einmal ergab alles einen Sinn. Ihr Mann hatte sie betrogen. Und sie selbst war blind gewesen, blind und dumm! In ihrer Blindheit hatte sie ihren eigenen Sohn im Stich gelassen, der sich nicht traute zu reden, weil er zu viel wusste.
    Jetzt war nichts mehr übrig von der kleinen Familie, die in einem warmen Haus in Maida Vale gelebt hatte. Denn es gab keine Erinnerungen mehr, keine Unschuld, nichts, das sie aus diesem Autounfall herausretten konnte. Isabel sank auf den Baumstumpf zurück. Es gab niemanden, der helfen, der alles wiedergutmachen konnte. Ja, jetzt konnte sie nicht einmal mehr um ihren Mann trauern, um seine verlorene Liebe, denn jetzt wusste sie, dass sie sie längst verloren gehabt hatte.
    »Isabel? Geht’s?« Seine Frage blieb dumm und töricht in der Luft hängen.
    Thierry, dachte sie wie blind. Sie musste zu Thierry.

    Zittrig erhob sie sich. »Danke«, sagte sie höflich. Sie wusste selbst nicht, wie sie es schaffte, dass ihre Stimme so normal klang. »Danke, dass Sie’s mir gesagt haben.«
    Sie wandte sich um und machte sich mit ausgreifenden Schritten auf den Weg zum Haus zurück. Dabei geriet sie mehrmals ins Stolpern, denn im Wald war es jetzt schon ziemlich dunkel. Die Bäume um sie herum verschwammen, waberten. Byron ging hinter ihr her. »Tut mir leid«, sagte er.
    Sie wirbelte herum. »Wieso? Haben Sie mit meinem Mann geschlafen? Saßen Sie am Steuer des Lastwagens, der ihn getötet hat? Haben Sie meinen Sohn so traumatisiert, dass er die Sprache verlor? Nein. Also machen Sie sich nicht lächerlich. Das hat nichts mit Ihnen zu tun.« Sie war ein wenig außer Atem, und ihre Worte klangen schrill und nachtragend.
    »Es tut mir leid, dass ich Ihnen so schlechte Nachrichten bringen muss«, sagte er. »Ich dachte nur, Sie sollten es wissen. Um Thierrys willen.«
    »Wie schön für Sie.« Sie stolperte über einen umgefallenen Baumstamm.
    »Isabel, ich …«
    »Wer weiß es sonst noch? Vielleicht könnten Sie ja kurz bei den Vettern reinschauen und es ihnen erzählen. Dann weiß es morgen das ganze Dorf.«
    »Niemand weiß es.«
    Jetzt konnte sie das Haus sehen. Ihr Sohn war da drinnen. Wahrscheinlich oben in seinem Zimmer vor einem Computerspiel. Wieso habe ich nichts gemerkt? Wie konnte ich ihn bloß so leiden lassen?
    »Isabel. Warten Sie. So dürfen Sie nicht zu ihm reingehen.«
    Er legte seine Hand auf ihre Schulter. Isabel schüttelte sie ab.
    »Fassen Sie mich nicht an!«

    Er zuckte zurück, als habe sie ihm eine Ohrfeige gegeben. Eine kurze Stille trat ein. »Wenn ich gekonnt hätte, ich hätte sie verbrannt. Ich wollte bloß Thierry helfen.«
    »Dem brauchen Sie nicht zu helfen«, fauchte sie. »Wir brauchen keine Hilfe. Nicht von Ihnen und auch von keinem andern.«
    Er schaute forschend in ihr Gesicht, dann biss er die Zähne zusammen und wandte sich ab.
    Isabel schaute ihm nach. »Ich kann selbst auf mich aufpassen!«, rief sie.
    Er war schon fast fünfzehn Meter weit weg, als sie hinzufügte, »und auf meine Kinder auch!«
    Er ging weiter.
    Da brach ein Schluchzen aus ihr hervor. »Okay«, weinte sie. »Byron, sag mir, warum.«
    Er blieb stehen und wandte sich um. Sie stand neben einer umgestürzten Eiche. Hinter ihr zeichnete sich zwischen den Bäumen der See ab. Sie hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Ihr Gesicht war ganz rot.
    »Warum zum Teufel hat er’s dir erzählt und nicht mir? Warum konnte er’s mir nicht sagen? Ich bin doch seine Mutter! Auch wenn ich vielleicht nicht immer die beste Mutter war. Aber ich habe ihn immer geliebt. Ich bin alles, was er noch hat. Warum hat er’s dir gesagt und nicht mir?«
    Er sah, wie verletzt sie war, wie geschockt, ja zerschmettert. Das konnte nicht einmal ihre trotzige, fast wilde Haltung verbergen. Ein verwundetes Tier schlug auch auf jeden ein.
    »Weil er Angst hatte«, antwortete er gütig.
    Sie schien ein wenig einzuknicken. Hob kurz die Augen zum Himmel, schloss sie. Wäre er nur jemand anders gewesen, kam es Byron plötzlich in den Sinn, egal wer, dann hätte er sie jetzt in die Arme genommen. Dann hätte er dieser zutiefst verletzten Frau ein wenig Trost angeboten.
    »Er wollte Sie mit seinem Schweigen beschützen.«

    Er wartete. Da wandte sie sich ab und ging. Machte sich mit ruhigen, ausholenden Schritten auf den Weg zur Straße.
     
    Er war noch wach, als sie zu ihm kam. Sie konnte selbst im Halbdunkel des Zimmers seine Augen sehen, die auf sie gerichtet waren. Wahrscheinlich hatte er schon auf sie gewartet, hatte

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