Der Klang des Herzens
hinterher die Verfallsdaten auf den Dosensuppen und den sündhaft teuren Keksen angeschaut hatte, stellte sie fest, dass sie alle noch einige Wochen lang haltbar waren. Aber sie hatte nichts gesagt, denn sie erkannte, dass sowohl die Vettern als auch Byron von diesem Tausch profitiert hatten. Zufrieden darüber, zur Abwechslung mal eine
volle Speisekammer zu haben, hatte sie Byrons Beute in die Vorratsregale geräumt.
»Glaubst du, es wird reichen? Ach, wenn wir nur mehr Geld hätten. Dann könnten wir Lachs kaufen oder ein Spanferkel grillen oder so was.«
Kitty wurde plötzlich rot. »Aber wir haben doch genug. Mehr als genug«, sagte sie und lächelte ihrer Mutter zu.
Isabel, die sich sehr über Kittys Verständnis freute, lächelte zurück und wünschte, sie könnte ihr eine richtig tolle Party zu ihrem sechzehnten Geburtstag finanzieren.
Jetzt sah sie zu, wie ihre Tochter Teig ausrollte. Kitty hatte sich das Haar hinter die Ohren geschoben. Gesicht und Hals waren leicht gerötet, weil sie so lange draußen in der Sonne verbracht hatte. Isabel hatte Kitty nichts erzählt. Thierry würde sowieso nichts sagen. Kitty sollte es nicht erfahren. Ihre Erinnerungen an ihren Vater sollten ungetrübt bleiben. Das war auch eine Art Geburtstagsgeschenk.
Byron saß ihr gegenüber an der anderen Schmalseite. Den dunklen Schopf über seine Arbeit gebeugt, hörte er Thierrys fröhlichem Geplapper über Peppers neueste Kunststücke zu. Pepper hatte sich offenbar in kürzester Zeit zu einem Superhund entwickelt. Er konnte auf Bäume klettern, war schneller als jeder Hase und konnte das Wild schon aus meilenweiter Entfernung wittern. Byron hörte sich diese Übertreibungen mit einem verständnisvollen Murmeln an.
Isabel verspürte einen leichten Stich, als sie Byron so mit ihrem Sohn beobachtete. Wo doch sein Vater bei ihm hätte sitzen sollen. Aber Thierry hatte sich wieder geöffnet. Er war nicht länger der bedrückte kleine Junge wie zuvor. Und dafür war sie dankbar.
Und wenn ihr Blick einmal auf Byron haften blieb, konzentrierte sie sich sofort wieder auf ihre Kontobücher. Er hatte ihren Annäherungsversuch sanft abgewiesen. In wenigen Wochen würde er wieder fort sein. Er war ein Freund. Sie
schalt sich für ihre Schwäche. Nein, es war einfacher, wenn er ihr Freund blieb, für jede Seite. Vor allem für die Kinder.
Der Anruf kam nach dem Lunch. Sie waren nach draußen umgezogen, hatten irgendwo in einem der Außengebäude einige alte Liegestühle aufgetan und sie hinter dem Haus aufgestellt, ein paar Meter vom Gerüst entfernt. Ein alter Golfschirm hing nun an einer Leiter und bot ein wenig Schatten. Thierry lag ausgestreckt im Gras und las laut aus einem Kinder-Witzbuch vor, was gelegentliches Stöhnen bei den Zuhörern hervorrief, die Holunderschorle schlürften. Byron hörte sein Handy im Haus klingeln und ging hinein.
»Isabel?« Byron schaute auf sie hinab. Auf seinem Gesicht zeichnete sich eine vorsichtige Freude ab. »Man hat mir Arbeit angeboten. In der Nähe von Brancaster. Ein Bekannter, für den ich früher schon ab und zu was gemacht habe, will, dass ich ein Wäldchen für ihn auf Stock setze, das er gerade gekauft hat.« Er fügte hinzu: »Und er bezahlt nicht schlecht.«
»Ach«, sagte Isabel seltsam enttäuscht. »Brancaster? Wie weit ist das von hier?« Sie hob die Hand und beschattete ihre Augen, um ihn besser sehen zu können.
»Etwa zwei Autostunden. Aber er will, dass ich dort bleibe. Zwei, drei Tage Arbeit, denkt er. Da ist’ne Menge zu tun.«
Isabel rang sich ein Lächeln ab. »Und wann willst du gehen?«
»Sofort. Er möchte, dass ich so bald wie möglich anfange.«
Er war eindeutig mit den Gedanken schon bei seiner neuen Arbeit. Warum war sie enttäuscht? Sie sollte ihm das gönnen.
»Kann ich mitkommen?« Thierry war bereits aufgesprungen. Sein Buch lag umgedreht im Gras.
»Diesmal nicht, T.«
»Du musst uns mit der Party helfen, Thierry«, sagte Isabel.
»Bis dahin wirst du doch wieder zurück sein, Byron, oder? Zu Kittys Geburtstagsparty?« Sie versuchte, es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen.
»Ich werd’s versuchen, aber das hängt von der Arbeit ab. Kitty, ich hätte da noch ein paar Ideen zu deiner Party. Ich dachte, du könntest vielleicht Holundersorbet machen; das ist nicht schwierig mit der Gefriertruhe.«
Er kritzelte das Rezept auf einen Zettel, und Isabel freute sich nun doch für ihn. Es wäre schwer für ihn gewesen, auf andere angewiesen zu sein.
Weitere Kostenlose Bücher