Der Klang des Herzens
und obendrein für ein weiteres halbes Dutzend, das sie den Vettern bringen konnte. Sie wollten den Laden heute wiedereröffnen; Asad hatte sich so weit von seinem Anfall erholt. Sie hatte in den vergangenen Tagen vier Schachteln für ihn gesammelt. »Damit ihr was habt, wenn ihr wieder aufmacht«, hatte sie zu ihm gesagt, als sie vor zwei Tagen an seinem Krankenbett saß, den Blümchenvorhang hinter sich zugezogen.
»Ach was, dann öffnen wir eben nur auf ein Schwätzchen«, hatte Asad gesagt. Er sah immer noch ziemlich müde aus. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, sein schmales, knochiges Gesicht wirkte ausgezehrt und hohlwangig. Henry brummte, er habe erst in den letzten zwei Tagen angefangen, wieder einigermaßen ordentlich zu essen.
Sie hatte Angst gehabt, dass beide kein Wort mehr mit ihr würden reden wollen nach diesem schrecklichen Vorfall. Aber als sie gekommen war, um sich zu entschuldigen – mit Anthony als ebenso verlegener Verstärkung -, hatte Asad ihre Hand in seine beiden großen, schmalen, ledrigen Handflächen genommen. »Nein, du musst mir verzeihen, Kitty. Ich hätte dich schon lange warnen müssen, auch wenn wir nur einen Verdacht hatten. Aber das wird mir eine Lehre sein. Ist vielleicht gar nicht so schlecht, wenn man merkt, dass man nie zu alt ist, um noch was dazuzulernen.«
»Ich hab gelernt, immer einen dicken Stock mitzunehmen.
Und einen Ersatz-Inhalator.« Henry machte sich heftig an Asads Kissen zu schaffen. »Er wird eine Weile nichts mehr heben dürfen, verstehst du. Dieser fürchterliche Mensch …«
»Arbeitet er noch immer am Haus?«
»Ich hab ihn seitdem nicht mehr gesehen.«
»Ich weiß auch nicht, wo er ist«, warf Anthony ein. »Mum hat ihn gestern gesehen, aber sie hat nicht viel gesagt.«
»Traut sich wahrscheinlich nicht, sein Gesicht zu zeigen.« Henry schlug ein letztes Mal kräftig aufs Kissen. »Ist wohl untergetaucht. Wenn deine Mum Glück hat, war das die letzte Rechnung, die sie von ihm gesehen hat.«
Asad hatte Anthony angeschaut. »Entschuldige, dass wir so von deinem Vater reden, Anthony.«
»Ist nichts, das ich nicht schon mal gehört hätte.« Anthony hatte mit den Schultern gezuckt, als wäre es egal. Aber Kitty wusste es besser, und als sie später neben ihm im Besuchszimmer gesessen hatte, hatte sie kurz seine Hand gedrückt, um ihm zu zeigen, dass sie verstand.
Thierry streckte seinen Kopf ins Hühnerhaus, schaute ihr über die Schulter, wie sie die Eier in Kartons verpackte. »Wie viele?«
»Elf. Es wären zwölf geworden, aber ich hab eins fallen gelassen.«
»Auf den Stufen, ich weiß. Pepper hat’s gefressen. Rat mal, wer im Schlafzimmer ist?«
Sie machte gewissenhaft die Schachteldeckel zu. »In welchem?«
»Im großen. In dem, das Matt hergerichtet hat.« Er grinste. »Byron.«
»Was? Arbeitet er da drin?«
Thierry schüttelte den Kopf. »Er schläft.«
»Warum schläft er bei uns?«
Thierry zuckte gereizt mit den Schultern. »Ist nur vorübergehend. Bis er was anderes gefunden hat.«
Kittys Gedanken rasten. Ein Untermieter! Vielleicht kam ja jetzt ein bisschen Geld rein. Sie dachte dabei an ihren bevorstehenden Geburtstag, den sie mit großem Tamtam feiern wollte. Sie hatte Asad und Henry eingeladen, ja fast das halbe Dorf. Das musste sie ihrer Mutter allerdings noch beibringen.
Dass Byron hier war, war toll. Er konnte sich nützlich machen – die schweren Sachen rausschleppen, Tische, Stühle und so. Weil im Esszimmer immer noch mehrere Löcher klafften, hatten sie und Mum sich entschlossen, die Feier draußen zu veranstalten, auf dem Rasen. Sie konnte es sich genau vorstellen: ein langer Tisch, ein weißes, flatterndes Tischtuch und darauf all die Köstlichkeiten, die sie gekocht oder gebacken hatten. Ihre Gäste könnten die schöne Aussicht auf den See genießen. Ja, sie könnten sogar schwimmen gehen, wenn sie wollten. Sie musste ihren Freundinnen sagen, sie sollten ihre Badeanzüge mitbringen.
Kitty schlang glücklich die Arme um ihren Oberkörper. Auf einmal war sie richtig froh, in diesem verfallenen alten Kasten zu wohnen. Wenn die Sonne schien, machten ihr die Bauarbeiten gar nichts aus, das Gerüst, die staubigen Böden. Wenn sie nur ein anständiges Bad gehabt hätten, sie hätte ewig so weiterleben können. Da klingelte ihr Handy.
»Kitty?«
»Ja?«
»Ich bin’s, Henry. Tut mir leid, dass ich dich schon zu so unchristlich früher Zeit störe, Darling, aber du weißt nicht zufällig, wo Byron sein könnte?
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