Der Klang des Herzens
schwärmt vom Küchentisch!
»Und da, schau«, sagte Isabel, die inzwischen ans Spülbecken getreten war und den Hahn aufgedreht hatte, »das Wasser kommt jetzt ganz klar. Schmeckt sicher himmlisch. Wasser ist auf dem Land immer besser als in der Stadt. Habe ich jedenfalls mal irgendwo gelesen.«
Kitty war zu erregt, um den Anflug von Hysterie in der Stimme ihrer Mutter zu bemerken.
»Mrs Delancey?« Der bulligste Möbelpacker kam zu ihnen herunter. »Wir haben das erste größere Möbelstück ausgeladen und ins Vorderzimmer gestellt, aber da ist’s ziemlich feucht. Ich dachte, ich frag Sie lieber, bevor wir weitermachen.«
Isabel schaute ihn verständnislos an. »Was meinen Sie?«
Der Mann schob verlegen seine Fäuste in die Hosentaschen. »Na ja, es ist nicht gerade die beste … Ich dachte, vielleicht wollen Sie sich’s ja noch mal überlegen und die Sachen inzwischen einlagern. Bis es hier …« Er brach verlegen ab.
Kitty hätte ihn umarmen können. Endlich jemand, der keine Tomaten auf den Augen hatte.
»Diese Feuchtigkeit ist nicht gut für die schönen alten Möbel.«
»Ach, die haben Jahrhunderte überstanden. So ein bisschen Feuchtigkeit wird ihnen schon nicht schaden«, sagte Isabel wegwerfend. »Das kriegen wir schon hin. Ein paar Heißluftventilatoren, und es wird hier schön warm und trocken.«
Der Mann warf einen Blick auf Kitty. Sie glaubte, so etwas wie Mitleid in seinen Augen zu lesen. »Wie Sie wollen«, sagte er.
Kitty stellte sich vor, wie er und die anderen sich über diese Irre lustig machten, die ihre Kinder zwang, in eine feuchte Bruchbude einzuziehen, und dazu noch Lobeshymnen über einen zerkratzen Fichtenholztisch anstimmte. Sie stellte sich die Häuser dieser Männer vor: warm und gemütlich, mit Zentralheizung, gut gepolsterten Sofas und Großbildfernsehern.
Kitty nahm sich ein Herz und sagte: »Also, wo sind die Küchensachen? Am besten fangen wir damit an, hier ein bisschen Ordnung zu machen.«
»Die Küchensachen?«
»Putzmittel. Lebensmittel. Ich hab extra zwei Umzugskisten damit vollgepackt und sie beim Auszug separat neben die Haustür gestellt, damit sie nicht untergehen.«
Schweigen.
Dann: »Die waren für uns?«
Kitty drehte sich langsam zu ihrer Mutter um.
»Ach, Mist«, sagte Isabel. »Ich dachte, die wären Abfall gewesen. Ich hab sie zu den Mülltonnen gestellt.«
Und was sollen wir jetzt essen!?, hätte Kitty am liebsten gebrüllt. Wie sollen wir heute über die Runden kommen? Hatte ihre Mutter nichts anderes im Kopf als ihre verdammte Musik?!
Warum ich? Kitty wandte Isabel den Rücken zu. Sie sollte nicht sehen, wie sehr sie sie in diesem Moment hasste. In ihren Augen standen Zornestränen, die sie jedoch nicht wegwischte, damit ihre Mutter nichts merkte. Warum konnte sie keine Mutter haben, die praktisch veranlagt war? Die organisieren konnte? Die sich vorbereitete? Kitty fuhr ein Stich ins Herz. Wie sehr sie ihren Vater vermisste! Und Mary, die gute Mary, die dieses Haus als das gesehen hätte, was es war – ein gigantischer, ein lachhafter Fehler -, die einfach zu Isabel gesagt hätte, dass es überhaupt nicht infrage kam.
Aber jetzt gab es keine Erwachsenen mehr. Nur noch sie.
»Ich fahre zum Einkaufen. In diesen Laden«, verkündete sie gepresst. »Und ich nehme das Auto.«
Sie erwartete halb, dass ihre Mutter widersprechen, dass sie fragen würde, wie sie überhaupt auf den Gedanken kam, schon fahren zu können. Aber Isabel war tief in Gedanken versunken. Kitty wischte sich verstohlen mit dem Handrücken über die Augen und ging.
Als ihre Tochter trotzig abgerauscht war, drehte Isabel sich langsam um. Sie hörte, wie die Wagentür zugeschlagen und der Motor angelassen wurde. Da drehte sie sich zum Fenster um, schloss die Augen und machte sie eine ganze Weile nicht mehr auf.
Es hatte aufgehört zu regnen, aber der Himmel war nach wie vor düster und verhangen, als könne er sich nicht entscheiden, ob er aufklaren wollte oder nicht. Kitty brauchte fast zwanzig Minuten bis zum Ende des Weges; ihr Vater hatte ihr nur ein paar Mal erlaubt zu fahren, während der Ferien, und das auch nur auf Privatstraßen oder Feldwegen. Der Wagen rutschte und holperte über hervortretende Wurzeln, und Kitty betete, dass sie nicht irgendwo in diesem grässlichen Wald steckenblieb. Sie musste andauernd an Horrorfilme denken, sah sich von schemenhaften Ungeheuern verfolgt.
Sobald sie das Ende des Wegs erreichte, ließ sie den Wagen stehen und ging die
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