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Der Klang des Herzens

Titel: Der Klang des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jojo Moyes
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gesehen hatte. Und das Haus war seit Jahrzehnten nicht mehr renoviert worden. Dass es unter Denkmalschutz stand, war unwahrscheinlich; dafür war die Architektur zu unschön, zu willkürlich. Es gab keinen Hinweis auf eine klare Stilrichtung, auf eine bestimmte bauliche Herkunft. Es war ein Mischmasch, ein anglomaurischer Bastard, dessen Alter lediglich in den Verfallszeichen sichtbar wurde. Die Art Gebäude, die man heutzutage kaum mehr findet; buchstäblich unberührt, aber mit unglaublichem Potenzial.
    Sein Auto vergessend, trat er ein wenig näher. Halb erwartete
er das wütende Bellen eines Hundes oder den zornigen Ruf eines Hausbewohners. Aber das Gebäude lag verlassen da. Seine Annäherung blieb unbemerkt, außer von den Spatzen und Krähen. Kein Wagen stand in der Auffahrt, was ihn vermuten ließ, dass, wer immer hier wohnte, wahrscheinlich gerade nicht zu Hause war. Er spähte durch ein Fenster. Kaum Möbel zu sehen. Vielleicht schon seit Längerem unbewohnt. Die Felder dagegen waren offensichtlich bestellt worden, und auch die Wallhecken waren ordentlich beschnitten.
    Hinterher wusste er nicht mehr so genau, welcher Teufel ihn geritten hatte. Er war in den letzten Jahren vorsichtig geworden, hatte Risiken gemieden. Aber er probierte die Klinke, und als die Tür aufging, warf Nicholas Trent jede Vernunft über Bord und trat ein. Ohne etwas zu sagen, ohne sich mit einem Ruf anzumelden. Er betrat die große Diele. Die Lichtschalter schienen noch aus den Dreißigerjahren zu stammen, ein Sekretär, den er durch eine offene Tür erblickte, aus den Vierzigern. Er betrat das, was er fürs Wohnzimmer hielt – zumindest schien es vor Kurzem noch bewohnt gewesen zu sein -, in einer Ecke stand ein Ikea-Sessel, aber insgesamt wirkte auch dieser Raum heruntergekommen und vernachlässigt. Die angenehme Größe wurde durch Löcher in den Wänden und fehlende Leisten gestört. Und überall dieser modrige Geruch. Auch an den hohen Stuckdecken zeichneten sich sepiabraune Flecken ab. In einigen Fenstern fehlten die Scheiben, und die Fensterrahmen waren an mehreren Stellen angefault. Wo würdest du hier anfangen?, fragte sich Nicholas und hätte fast gelacht. Was für eine Frage. Solche Häuser gab es heute nicht mehr. Sie waren von Bauspekulanten wie ihm abgerissen oder schon vor Jahren in Apartmentwohnungen umgewandelt worden. Still erklomm er die Treppe und betrat ein Zimmer, dessen Tür offen stand: das große Schlafzimmer mit einem riesigen Erkerfenster, von dem man einen herrlichen
Blick auf den See, ja über die ganze Umgebung hatte. Er trat ans Fenster und holte tief und bewundernd Luft. Den kalten, abgestandenen Zigarettengeruch versuchte er zu ignorieren.
    Nicholas Trent war kein Träumer, das war ihm spätestens nach der Trennung von seiner Frau vergangen. Aber jetzt stand er vor dem Fenster, schaute auf den See hinaus und über die Wälder, lauschte der tiefen Stille des Hauses und konnte sich des Gedankens nicht erwehren, aus einem ganz bestimmten Grund hierhergeführt worden zu sein.
    Erst jetzt fiel sein Blick auf einen aufgeklappten Koffer, aus dem Kleidung herausquoll. Dort lag ein Taschenbuch, dort eine Bürste. Jemand wohnte hier. Diese kleinen häuslichen Gegenstände brachten ihn zur Besinnung. Ich stehe in einem fremden Schlafzimmer. Auf einmal kam sich Nicholas wie ein Eindringling vor. Rasch verließ er das Schlafzimmer, rannte die Treppe hinunter und aus dem Haus.
    Er blieb erst stehen und drehte sich um, als er sein Auto erreicht hatte. Ein letzter Blick, um es sich fest ins Gedächtnis einzuprägen.
    Denn Nicholas Trent sah kein halb verfallenes Haus. Er sah ein Bauprojekt, er sah zwölf Villen mit je fünf Schlafzimmern von außergewöhnlicher Qualität, diskret um den See herum angeordnet. Er sah einen Apartmentblock, ein hypermodernes Ensemble, das einen Architekturpreis gewinnen und über das in Country Life berichtet werden würde.
    Zum ersten Mal seit fünf Jahren sah Nicholas Trent wieder eine Zukunft für sich.
     
    »Erzähl mir vom Spanischen Haus.«
    Es fiel ihm sehr schwer, in beiläufigem Ton zu sprechen, aber er hatte keine Wahl. Wenn einer wusste, was es mit diesem Objekt auf sich hatte, dann Mike Todd: Er verkaufte schon seit dreißig Jahren Häuser in den Bartons.
    Mike reichte ihm ein Glas Brandy. Sie saßen mit hochgelegten
Füßen vorm Kamin. Mikes Frau, ein ungewöhnlich zufriedener Charakter, hatte darauf bestanden, dass die »Mannsbilder« sich ausruhen sollten, während sie

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