Der Klang des Herzens
nichts mit Häusern zu tun.
ZWÖLF
D er Junge lag kichernd auf dem Rücken, und die Hundewelpen mit ihren weichen, übergroßen Pfoten und ihren dicken Bäuchen krochen tapsig auf ihm herum. Jungen in diesem Alter sind fast selbst noch Welpen, dachte Byron, während er einen weiteren Karton mit Klebeband verschloss. Der Junge hatte den Großteil des Vormittags im kleinen Garten herumgetobt, sich mit der Terrierhündin, die aufgeregt bellend neben ihm hersprang, Wettrennen geliefert. Hier, ohne seine Mutter, war er ganz anders, unbeschwerter, wissbegierig. Er wollte lernen, wie man einen Zaun repariert, wie man Fasanenküken aufzieht, welche Pilze essbar waren. Und er überschwemmte die Hunde mit einer solchen Liebesflut, dass sie ihn mittlerweile ebenfalls ins Herz geschlossen hatten. Nicht, dass er viel gesagt hätte – es war schwer, auch nur ein »Ja« oder »Nein« aus ihm herauszubekommen -, aber er war entspannter, weniger wachsam.
Er sollte nicht so sein, dachte Byron, ein Junge in seinem Alter, das ist einfach nicht richtig. Wenn er ihn mit seiner Nichte Lily verglich mit ihrem unbeschwerten Geplapper, ihren unkomplizierten Forderungen nach Liebe und Zuwendung, dann wurde er traurig. Die Leute glaubten, der Zustand des Jungen sei verständlich, er habe ja gerade seinen Vater verloren, und jeder reagiert anders auf so eine traumatische Erfahrung. Byron hatte zufällig mitbekommen, wie die Witwe einen Anruf von der Schule bekam. Man wollte sie drängen, das Kind zu einem Psychiater zu schicken, aber sie hatte gesagt: »Ich habe mit meinem Sohn gesprochen – er will das
nicht. Ich habe nichts dagegen, ihn vorläufig selbst entscheiden zu lassen, wie er mit seinem Kummer umgeht.« Ihm war aufgefallen, dass ihre Stimme zwar ruhig geklungen hatte, die Knöchel der Hand, mit der sie den Hörer hielt, aber weiß hervortraten. »Nein – nein, das ist mir durchaus klar. Ja, ich sage Ihnen Bescheid, falls ich es mir anders überlege.« Er hatte ihr im Stillen applaudiert: Er selbst hatte ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Privatsphäre, nach Ruhe vor Eingriffen von außen, vor unerwünschter Einmischung. Aber es war schwer, sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, was wohl in dem kleinen Jungen vorgehen mochte.
Er streckte den Kopf in die Küche. »Thierry, ich muss kurz nach oben und noch ein paar Sachen runterholen. Kommst du hier zurecht?«
Der Junge nickte, schien ihn kaum zu hören. Byron zog automatisch den Kopf ein, als er die schmale Stiege zu seinem Schlafzimmer erklomm. Zwei Koffer, vier große Umzugskisten und einen Anhänger voller Kleinkram, dazu einen Korb voll Welpen. Nicht viel für ein Leben. Nicht viel, für das es ein neues Zuhause zu finden galt. Er ließ sich müde auf die Bettkante sinken und lauschte dem fröhlichen Japsen, das von unten zu ihm heraufdrang. Sein Schlafzimmer war einfach und karg, aber er war dort glücklich gewesen in den letzten Jahren, in denen er zusammen mit seiner Schwester und mit Lily gewohnt hatte. Frauen hatte er nie mit raufgenommen – bei den seltenen Gelegenheiten, bei denen er das Gefühl gehabt hatte, weibliche Gesellschaft zu brauchen, war er immer zu der jeweiligen Frau nach Hause gegangen. Da seinem Schlafzimmer also die weibliche Hand fehlte, sah es so unpersönlich aus wie ein Hotelzimmer. Seine Schwester hatte immerhin darauf bestanden, ihm Vorhänge und eine Tagesdecke zu besorgen, die aus dem gleichen Stoff waren – ein Versuch ihrerseits, ihm ein Zuhause zu schaffen. Er hatte gesagt, sie solle sich keine Mühe machen, er sei sowieso die meiste Zeit
draußen, in der freien Natur. Trotzdem war es zu einem Zuhause für ihn geworden, und er merkte nun, dass er es vermissen würde.
Vermieter hatten gewöhnlich was gegen Mieter mit Hunden. Der Einzige, der einverstanden gewesen wäre, hatte die Miete für sechs Monate im Voraus haben wollen, »für den Fall, dass die Tiere Schaden anrichten«. Eine lachhafte Summe. Der andere Vermieter wollte die Hunde nicht im Haus haben. Byron hatte erklärt, seine Hündinnen hätten nichts dagegen, draußen im Auto zu schlafen, sobald die Welpen entwöhnt seien, aber das hatte ihm der Vermieter nicht abgekauft. »Woher soll ich wissen, dass Sie sie nicht ins Haus lassen, sobald ich Ihnen den Rücken zudrehe?«
So war eine Woche nach der anderen verstrichen. Seine Schwester war ausgezogen, und nun war es nur noch eine Sache von Tagen, bis sein Mietvertrag auslief. Er hatte überlegt, ob er Matt vielleicht um ein
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