Der Klang des Herzens
dazu.«
Er konnte sehr überzeugend sein, und sie spürte instinktiv, dass er wohl meistens seinen Willen bekam.
»Ich weiß, Sie haben sich das gründlich überlegt«, begann sie, »aber diesmal nicht, nein. Worüber ich eigentlich mit Ihnen reden wollte, ist die Küche. Wir brauchen dort unbedingt eine Steckdose, damit wir den Kühlschrank anschließen können, bevor es zu warm wird.«
»Ach ja, die Steckdose. Das ist nicht so einfach, wie’s vielleicht aussehen mag. Die Leitungen dort liegen sehr ungünstig.« Er grinste. »Aber keine Sorge, das kriegen wir schon hin. Ich werde mir was überlegen. Ihre Haare sehen übrigens gut aus.«
Sie warf automatisch einen Blick in den Wandspiegel, aber ihre Haare sahen auch nicht anders aus als sonst. Das war jetzt schon das zweite Kompliment heute. Dann wandte sie verlegen den Blick ab, wollte sich nicht von ihm dabei ertappen lassen, wie sie in den Spiegel schaute. Es gab Tage, an denen er omnipräsent erschien. Er kam ihr entgegen, wenn sie einen Raum betreten wollte, oder summte vor sich hin, wenn sie Geige spielen wollte. Er machte Kaffeepause in der Küche, wenn sie gerade zu kochen anfing, und kommentierte dabei, was in der Zeitung stand. Es gab Tage, an denen ihr das nichts ausmachte.
»Ich muss Sie warnen. Ich hab beim Entfernen der Leisten Rattenkot gefunden. Könnte sein, dass wir sie mit den Bauarbeiten aufgestört haben.«
Isabel schüttelte sich. Seit dem »Besuch« der Ratte konnte sie kaum schlafen. »Soll ich den Kammerjäger rufen?«
»Das hätte nicht viel Sinn. Jetzt, da der Fußboden aufgerissen ist, gibt es zu viele Orte, an denen sie sich verstecken können. Außerdem könnte es sein, dass sie von draußen reinkommen. Warten Sie, bis wir fertig sind.«
Isabel schloss kurz die Augen. Ihr graute vor der Vorstellung, dass sich nachts Ratten ins Haus einschleichen könnten. Schwer seufzend nahm sie die Wagenschlüssel und ihren Geldbeutel.
»Matt, ich fahre kurz zum Einkaufen. Ich bin bald wieder da«, rief sie.
Warum sie glaubte, sich bei ihm abmelden zu müssen, wusste sie selbst nicht. Er konnte ohnehin kommen und gehen, wie er wollte – mittels des Hausschlüssels, der unter der Fußmatte vor der Hintertür lag. Er selbst hatte ihn dort vor einigen Wochen hervorgeholt. Sie war entsetzt gewesen bei dem Gedanken, dass sie und die Kinder seit Monaten in einem Haus wohnten, zu dem offenbar jeder Zugang gehabt hatte.
»Matt?«
Er hörte sie nicht. Als sie die Haustür hinter sich zuzog, konnte sie ihn irgendwo oben pfeifen hören.
Sie musste fast zehn Minuten anstehen, bis sie endlich an den Geldautomaten kam, was hauptsächlich an dem alten Mann lag, der ratlos davorstand und alles vorlas, was auf dem Bildschirm stand. »Zehn Pfund, zwanzig Pfund, fünfzig Pfund, anderer Betrag …«, murmelte er vor sich hin. »Wie viel brauche ich noch mal?«
Isabel schnalzte nicht mit der Zunge wie die Frau hinter ihr, obwohl es regnete und sie keinen Schirm dabeihatte. Sie wusste aus Erfahrung, wie leicht jemand sich von Dingen einschüchtern lassen konnte, die andere für selbstverständlich hielten. Stattdessen tippte sie ihm auf die Schulter, als er vergaß, sein Geld aus dem Automaten zu nehmen, und nahm seine Dankesbezeigungen mit einem Lächeln entgegen.
Weil sie mit den Gedanken noch ganz bei dem alten Mann war und dabei, wie leicht man sich ablenken ließ, dauerte es ein paar Sekunden, bis die Mitteilung auf dem Bildschirm in ihr Bewusstsein sickerte: »Konto überzogen. Betrag kann nicht ausgezahlt werden. Bitte setzen Sie sich mit Ihrer Bankfiliale in Verbindung.«
Sie wandte sich vom Automaten ab und betrat die Bank.
Die Frau hinter dem Tresen begutachtete ihre Karte und tippte dann etwas in ihren Computer. Schließlich bestätigte sie Isabel, was ihr der Automat bereits mitgeteilt hatte. »Sie haben nicht mehr genug auf dem Konto, um diesen Betrag abzuheben.«
»Könnten Sie mir sagen, wie viel noch drauf ist?«, fragte Isabel leise.
Die Frau tippte etwas, dann schrieb sie eine Zahl auf einen Zettel und schob ihn ihr zu. »Sie haben bereits überzogen. So weit reicht Ihr Überziehungskredit noch. Für alles, was darüber hinausgeht, müssten wir Ihnen einen erhöhten Sollzinssatz berechnen.«
Isabel überlegte verzweifelt, wofür sie in letzter Zeit Geld ausgegeben hatte. Dann fiel ihr die unerwartete Lieferung von Dachziegeln ein, das neue Abwasserrohr und die neuen Stromanschlüsse, die doppelt so viel gekostet hatten wie
Weitere Kostenlose Bücher