Der Klang des Herzens
erwartet.
»Könnten Sie etwas von meinem Sparkonto aufs Girokonto transferieren? Da müsste noch was drauf sein. Bloß so viel, dass es wieder gedeckt ist.«
Die Frau tat es mit unpersönlicher Effizienz und reichte Isabel dann einen weiteren Zettel, auf dem stand, wie viel sich noch auf ihren Sparkonten befand. Viel weniger, als Isabel erwartet hatte, aber die Frau drehte ihr, als würde sie ihr einen persönlichen Gefallen tun, den Bildschirm zu und zeigte ihr, was im vergangenen Monat alles abgebucht worden war.
»Ach … unser Haus wird renoviert, wissen Sie«, erklärte Isabel zittrig.
Die Frau schenkte ihr ein mitfühlendes Lächeln. »Furchtbar, was?«
Vollkommen niedergeschlagen fuhr Isabel nach Hause. In der Einkaufstasche hatte sie Kartoffeln und Bohnen anstatt Brathühnchen und Salat, wie ursprünglich beabsichtigt. Um sich ein wenig aufzuheitern, legte sie eine Händel-CD ein,
die noch im Handschuhfach gelegen hatte. An die Kosten für Lebensmittel hatte sie bisher noch nie einen Gedanken verschwendet. Aber nun, angesichts des immer größer werdenden Lochs, das sich in ihren Finanzen auftat, wurde ihr klar, dass sie sich ein wenig einschränken mussten. Wenn sie Fleisch und Fisch wegließe, könnte sie zwanzig Pfund sparen. Und Nektar war viel billiger als reiner Saft. Gestern Abend hatte sie zum ersten Mal Thierrys Socken gestopft, anstatt sie, wie früher, einfach wegzuwerfen und neue zu kaufen. Es war so still und friedlich gewesen, fast meditativ, vor dem Feuer zu sitzen und etwas so Hausfrauliches zu tun.
Sie bog auf den Feldweg ab und hatte gerade einmal eine Viertelmeile zurückgelegt, als Dolores beschloss, ihr auch den letzten Rest Optimismus zu rauben. Der Motor, der schon seit Tagen nicht mehr so recht anspringen wollte – etwas, das Isabel tunlichst ignoriert hatte -, begann zu stottern und blieb schließlich stehen, als sie soeben über eine gewaltige Pfütze holperte. Isabel blieb einen Augenblick lang reglos sitzen und starrte die Wischerblätter an, die auf der Windschutzscheibe steckengeblieben waren. Aus dem Radio drang enervierend aufmunternd die Händel-Sinfonie. Sie drehte die Musik leiser und versuchte vergebens, den Motor anzulassen.
»Verfluchte Scheiße!«, schrie sie schließlich, stieg aus und versank prompt bis zum Fußgelenk in der kalten, schlammigen Pfütze. Isabel fluchte. Mit nassen Schuhen stakste sie zur Motorhaube, öffnete sie und streckte den Oberkörper darunter, der sich nun zumindest im Trockenen befand. Aber was tun?
»Warum?«, fragte sie laut. »Warum ausgerechnet jetzt? Konntest du mich nicht wenigstens bis nach Hause bringen?« Zornig trat sie gegen den Radschutz. Dann zog sie den Ölmessstab heraus – das Einzige, was sie unter der Motorhaube identifizieren konnte. Aber nachdem sie den Ölstand geprüft hatte, wusste sie nicht mehr weiter. Vom schiefergrauen
Himmel prasselte ungerührt der Regen. Sie musste gegen den Drang ankämpfen, die Elemente zu verfluchen.
Sie war sich nicht mal sicher, ob sie überhaupt zum Haus zurückwollte. Es gab Tage, da hatte sie das Gefühl, von dem alten Kasten aufgefressen, von ihm versklavt zu werden. Ihre ganze Energie ging dafür drauf, für ein Fass ohne Boden, einen nimmersatten Schlund. Ihre einst freien Gedanken wurden nun von einer endlosen Serie sinnloser Entscheidungen gefesselt – wo dieser Stromanschluss angebracht, welche Art von Holz dort verwendet, wie hoch jene Leisten sein sollten.
Sie versuchte, nicht daran zu denken, was wäre, wenn Laurent noch lebte. Es waren die kleinen Dinge, die sie umwarfen, nicht mehr der Tod ihres Mannes: das Auto, das nicht mehr anspringen wollte, Kontoauszüge, die sie einfach nicht kapierte, der Schulbericht, über den sie mit niemandem reden konnte, die Ratte in der Küche. »Es ist mir egal«, hätte sie am liebsten geschrien, wenn die Arbeiter sie zum fünfzehnten Mal störten. »Alles, was ich will, ist ein Haus, das funktioniert, an das ich keinen Gedanken verschwenden muss. Ich will an Adagios denken und nicht an Isolierungen!«
»Und ich will ein Auto, mit dem ich zum Einkaufen und wieder zurück fahren kann!«, brüllte sie. »Ist das zu viel verlangt?« Sie versetzte dem Vorderreifen einen Tritt und freute sich fast über ihren schmerzenden Zeh. »Ich will mich nicht mit all dem Mist befassen müssen! Ich will mein altes Leben wiederhaben!«
Mit tropfnassen Haaren setzte sie sich wieder ins Auto, kniff die Augen zu und holte ein paar Mal tief Luft. Dann
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