Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
brannte. Richard wollte nach seiner Taschenuhr greifen, konnte diese jedoch nicht finden. Suchend blickte er sich um und fand sie zu seiner Verwunderung auf dem Boden liegend vor.
Er lehnte sich aus dem Bett und hob die Uhr auf. Noch bevor er sie aufklappen konnte, bemerkte er am abnehmenden Vibrieren des Schiffes, dass die Maschinen stoppten. Das stete leichte Brummen, an das er sich bereits so gewöhnt hatte, dass er es kaum noch wahrnahm, verebbte. Was hatte das zu bedeuten?
Richard stand auf und ging zum Bullauge hinüber. Noch immer lag der Ozean vor ihm wie die glatte Oberfläche eines Spiegels und reflektierte die funkelnden Sterne am Himmel. Alles war ruhig.
Ob es einen technischen Defekt gab? Oder hatte Kapitän Smith weitere Eisbergwarnungen von anderen Schiffen erhalten und vorsichtshalber die Maschinen gestoppt, weil er den Morgen und somit bessere Sicht abwarten wollte? Immerhin waren sie dank der ungewöhnlich ruhigen See weitaus schneller vorangekommen als geplant. Eine Verzögerung von ein paar Stunden würde den Fahrplan kaum beeinträchtigen.
Richard wandte sich ab und legte sich zurück in sein Bett, wobei er spürte, wie das verhaltene Vibrieren wieder einsetzte. Die Maschinen fuhren erneut hoch. Achselzuckend blickte er auf die Zeiger seiner Uhr. Sie zeigte kurz vor Mitternacht.
Adam und Dylan würden ihm morgen bestimmt erklären können, warum die Titanic gestoppt hatte. Seufzend rollte er sich auf die Seite und schlief schnell wieder ein.
Kapitel 35
„Verdammt noch mal, das ist nicht Norah!“, fuhr der vornehm gekleidete Mann die beiden anderen wütend an.
„Das kann nicht sein.“
„So? Es kann nicht sein?“ Die Stimme des Mannes wurde drohend und tief.
Chloe zitterten die Knie noch ein wenig mehr. Was ging hier nur vor sich? Erschrocken hörte sie die tiefen Töne der Albert Memorial Clock 3:00 Uhr schlagen. Norah sollte jetzt eigentlich bei Ryan sein. Brachten diese Männer den ganzen Plan durcheinander?
Chloe warf Norah einen verzweifelten Blick zu. Noch während die schweren, tiefen Glockentöne über die Häuser hinweghallten und die dunkle Nacht mit den vom Mond milchig angeleuchteten Nebelschwaden noch unheimlicher machten, erwachte in ihrer Freundin ihre unerschütterliche Energie.
„Hören Sie“, rief Norah zu dem abseits im Dunkeln stehenden Mann hinüber. „Ich habe keine Ahnung, was hier vor sich geht. Aber ich muss jetzt einen dringenden Termin einhalten. Es geht um das Leben eines fünfjährigen Mädchens. Wollen Sie ihren Tod verschulden, indem Sie mich hier festhalten?“
„Warum soll das nicht Norah sein?“, unterbrach der Große sie und lockerte seinen Griff um Chloes Hals ein wenig, als er sich halb zu seinem Auftraggeber umwandte. Erleichtert atmete Chloe tief ein und wieder aus. Ihr Hals brannte unangenehm, aber noch viel mehr brannte ihr die Tatsache auf der Seele, dass Norah noch immer festgehalten wurde.
„Ich hatte Norah ein paar Wochen lang in meinem Bett. Und wenn ich sage, das ist nicht Norah, dann ist das nicht Norah!“, lautete die wütende Antwort.
„Aber wir beobachten sie schon seit über einem Jahr!“
„Das ist aber nicht die Richtige!“, schrie der Mann unbeherrscht und rammte dem Kerl, der Chloe festhielt, seine Schulter in die Seite, sodass dieser Chloe losließ.
Geistesgegenwärtig warf sie sich nach vorn und stürzte sich auf den Mann, der Norah in der Umklammerung hielt. Eisern umschlang sie mit ihren kräftigen Armen seine Beine und rief: „Lauf, Norah. Du musst Katie retten!“
Norah wurde tatsächlich losgelassen, da der kleine Mann um sein Gleichgewicht rang. Sie rannte los, blieb dann aber zögernd stehen.
Die Blicke der Freundinnen trafen sich. „Lauf, Norah. Denk an Katie. Lauf doch!“, rief Chloe ihr zu, ehe sie einen Stiefeltritt in die Seite bekam und laut aufstöhnte.
Endlich drehte Norah sich um und lief weiter.
„Hören Sie? Sie heißt doch Norah!“, brüllte der Größere und wollte der Flüchtenden nachsetzen.
Ihr hinter ihr herflatternder Mantel war das Letzte, was Chloe von ihrer Freundin sah, ehe die Dunkelheit und der Nebel sie verschluckten.
Der Wortführer der Gruppe riss den Großen, der Norah nachwollte, grob zurück und stieß ihn zu Boden. Chloe, neben der er zu Boden ging, flehte Gott stumm um Hilfe an.
„Ihr berichtet mir also seit einem Jahr über diese Frau, die gar nicht die Norah ist, die ihr beschatten sollt?!“, spuckte der Mann förmlich auf den Liegenden hinunter.
Selbst
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