Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
Chloe duckte sich unter dem Hass, der in seinen Worten mitschwang. Was würde jetzt mit ihr geschehen? Trotz der Kälte bildeten sich auf ihrer Stirn kleine Schweißperlen, die nach unten liefen und ihr in den Augen brannten. Ihr Atem ging heftig, war aber nichts im Vergleich zu ihrem panisch jagenden Herzschlag. Ob es für sie noch einmal einen neuen Morgen geben würde? Chloe bezweifelte es. Sie wandte leicht den Kopf und sah ü ber sich, als der Nebelschleier sich für einen Augenblick lichtete, das tröstliche Licht eines einzelnen Sterns. „ Ich bin das Licht der Welt …“, zitierte sie leise aus der Bibel 13 .
Währenddessen drückte sich der Kleinere der beiden unauffällig gegen die Hauswand. Er war dabei, sich Schritt für Schritt aus dem Staub zu machen. Chloe durchschaute sein Vorhaben, verhielt sich aber still. Sein Blick war flehentlich auf sie gerichtet, als bitte er sie, ihn nicht zu verraten. In dem Moment, als er die Hausecke erreichte, dröhnte in Chloes Ohren ein lauter Knall. Der Mann rutschte mit dem Rücken an der Hauswand herab und blieb seltsam zusammengesunken auf dem Pflaster hocken.
Chloe schloss die Augen. Vielleicht war es einfacher für sie, wenn sie alles Weitere aus ihrer Wahrnehmung ausklammerte? Der neben ihr liegende Mann stöhnte leise.
„Die Holzkisten von dem Deutschen. Ich habe sie überprüfen lassen. Darin waren die Skulpturen nicht. Es waren Klavierteile. Dieses Mädchen hatte überhaupt nichts mit mir und dem Raub zu tun. Die echte Norah ist mit den Kunstgegenständen wahrscheinlich schon längst auf und davon“, keuchte die Stimme des Wortführers unangenehm und gefährlich nahe an Chloes Ohr.
Die Worte waren für den neben ihr im Straßenschmutz liegenden Mann bestimmt, dennoch prasselten sie wie Hiebe auch auf Chloe nieder. Ihr Zittern wurde stärker. Sie fragte sich, ob sie in ihrem Leben etwas zu bereuen hatte, und erstaunlicherweise kam ihr Danny in den Sinn. Allerdings kam sie nicht mehr dazu, den Gedanken weiterzuverfolgen.
„Es war alles umsonst!“, fuhr der Mann fort, und plötzlich klangen seine Worte sehr ruhig und gelassen, was Chloes Angst nur noch verstärkte. „Seit einem Jahr bezahle ich dich. Für nichts. Die Kunstgegenstände kann ich abschreiben.“
Der zweite Knall drohte Chloe das Trommelfell zu zerreißen. Ein grässliches Pfeifen erfüllte ihren Kopf. Reglos lag sie da und wartete.
„Ich komme, Herr“, flüsterte sie und dieser Gedanke nahm ihr die Panik. Dann schwanden ihr die Sinne.
Ohne Zögern trat er zu dem reglos neben dem Toten liegenden Frauenkörper. Einen Augenblick lauschte er, doch außer dem heiseren Kreischen einer Möwe war es still in der Straße. Er hob die Waffe und zielte auf die Schläfe der Frau, die in ihrem schäbigen Mantel und den zerzausten Haaren ein erbärmliches Bild abgab. Sie war eine der vielen Armen dieser Stadt. Und genau dieser Umstand brachte ihn auf einen Gedanken. Sie würde sein Alibi sein! Mehr noch, sie würde ihn von jedem Verdacht in Bezug auf den Tod seiner beiden Handlanger reinwaschen. Selbst darüber hinaus könnte sie ihm nützlich sein, wenn er es geschickt anstellte.
Er schob die Waffe in seine Jacke und kniete sich neben die Frau. Noch einmal sah er sich prüfend um, horchte auf die Geräusche in der Umgebung, und als er sich sicher sein konnte, dass er allein und unbeobachtet war, riss er ein Streichholz an und betrachtete intensiv die Gesichtszüge der am Boden Liegenden. Nicht einmal, als er ihr direkt ins Gesicht leuchtete und ihren Kopf etwas anhob, damit er sich ihr Aussehen genau einprägen konnte, rührte sie sich. Er schüttelte das Steichholz aus und kramte in seiner Jackentasche nach einem weiteren, als die Frau aufstöhnte und sich bewegte. Schnell, aber ohne Eile zog er sich in den Schatten des gegenüberliegenden Gebäudes zurück. Vielleicht würde sie sich eines Tages noch wünschen, er hätte sie getötet, anstatt sie am Leben zu lassen und für seine Zwecke auszunutzen.
Norah blieb nahe an der Tür des Zimmers, in das der breit grinsende Ryan sie geführt hatte. Gut ein halbes Dutzend Männer und ein paar Mädchen hatten sich im Foyer des Bordells aufgehalten, und es war ihr unmöglich gewesen, die Polizisten von gut betuchten Freiern zu unterscheiden, was für die Qualität ihrer Tarnung sprach.
Ryan bot ihr mit einer Handbewegung einen Stuhl an, doch Norah lehnte mit einem Kopfschütteln ab. Sie blieb hartnäckig an der Tür stehen, und das nicht nur, weil
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