Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
sie sich eine Fluchtmöglichkeit offenhalten wollte, sondern auch, damit die Polizisten im Flur jedes Wort, das zwischen ihnen fiel, auch gut verstanden. Norah zitterte vor Furcht, denn Ryan stand bedrohlich nahe bei ihr.
Da sie sich kurz vor dem Ziel wähnte, hob Norah provozierend und mutiger, als sie sich fühlte, den Kopf. „Wo ist Katie?“, fragte sie, vor allem, um dem Mann eine Aussage bezüglich des entführten Mädchens abzuringen.
„In Sicherheit, bis wir beide miteinander fertig sind.“
„Ich möchte Ihr Wort, dass sie unbeschadet zu ihrer Mutter zurückkehren wird – auch wenn ich nicht weiß, ob Ihr Wort etwas wert ist.“
„Du bist ganz schön frech“, lachte der Mann und kam einen Schritt näher.
Norahs Magen krampfte sich ängstlich zusammen, und sie wich nach hinten aus, bis sie das Holz der Tür in ihrem Rücken spürte.
Er beugte sich ein Stück vor und flüsterte mit einem süffisanten Lächeln: „Ich verspreche es.“ Dannach richtete er sich wieder auf und fragte: „Zufrieden?“
Seine herablassend ausgesprochenen Worte und die Siegessicherheit, die er ausstrahlte, beeindruckten Norah mehr, als sie sich eingestehen mochte. Sie wusste zwar ein paar Polizisten in ihrer Nähe, fühlte sich aber nichtsdestotrotz dem Mann im Augenblick vollkommen schutzlos ausgeliefert. Norah schluckte alle ihre Ängste hinunter und nickte tapfer, wobei sie mit einer Hand hinter ihrem Rücken nach dem Türknauf tastete. Wenn der Mann jetzt noch zugab, dass er Susan und Leah gefangen gehalten und Susan misshandelt hatte, konnte sie endlich die Flucht ergreifen. Ab dem Moment würde sie diesem Mann hoffentlich nie wieder gegenüberstehen müssen!
„Ich hoffe, Sie haben das Mädchen nicht so zugerichtet wie Susan.“
„Susan?“, fragte er verständnislos und rieb sich die Hände. Dann hob er die Augenbrauen und lachte auf. „Ach, die Kleine, die ihre Schwester so nett zu beschützen versucht hat?“ Wieder beugte er sich ganz nah zu Norah hinunter.
Sie schluckte schwer, als sie seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht spürte.
„So etwas könnte ich einem Kind nie antun. Dafür liebe ich die kleinen Mädchen viel zu sehr.“
Norah dachte an Amy und die anderen Frauen im Bordell, die aussahen, als hätten sie alle ihr 18. Lebensjahr noch nicht vollendet. Der Magen wollte sich ihr umdrehen, und aufgebracht stieß sie den Mann von sich fort.
„Was haben Sie mit Katie gemacht?“, schrie sie ihn an und trat ihm sogar einen Schritt entgegen. Sein hämisches Lachen ließ sie noch mehr um Katies Unversehrtheit fürchten.
„Sie ist rothaarig. Das macht sie für mich uninteressant“, antwortete er in gleichgültigem Ton.
Zuerst verstand Norah seine Andeutung nicht, bis ihr die durchweg blonden jungen Frauen in seinem Etablissement in den Sinn kamen. „Mir reicht es!“, fauchte sie ihn an, drehte sich um und öffnete die Tür. Zu ihrem Schrecken war der von einer einzelnen Lampe nur spärlich beleuchtete Flur menschenleer. Wo waren die Polizisten? Sie sollten doch das Gespräch mit anhören und sie wieder heil hier herausbringen! Befanden sie sich in einem nebenan liegenden Zimmer? Oder war sie auf sich allein gestellt?
Norah wandte sich in Richtung Treppe und rannte los. Sie hatte den Treppenabsatz noch nicht erreicht, als sich eine große Hand von hinten über ihren Mund legte und ein kräftiger Arm sie gegen einen männlichen Körper presste. Sie verlor den Boden unter den Füßen. Wild strampelnd wand sie sich in dem Versuch, sich aus dem eisernen Griff zu befreien. Schließlich versuchte sie in ihrer Verzweiflung sogar, dem Mann in die Hand zu beißen, doch auch das gelang ihr nicht. Sie hatte gegen seine Kraft keine Chance.
Mit schnellen Schritten wurde sie die Stufen hinauf unter das Dach getragen und in den Raum geworfen, aus dem sie vor nicht einmal einer Woche Leah befreit hatte. Hart schlug sie auf dem Holzboden auf. Kein Polizist eilte ihr zu Hilfe. Mit Becketts Plan war offensichtlich etwas schrecklich schiefgegangen.
Die Tür donnerte zu und es wurde dunkel um sie. Norah setzte sich auf. Sie konnte bis auf ein paar graue, unförmige Schatten nichts erkennen. Panisch vor Angst atmete sie in kurzen, heftigen Stößen ein und aus. In ihrem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander, und all die Drohungen fielen ihr wieder ein, die Ryan bereits gegen sie ausgestoßen hatte.
Ein Geräusch ganz in ihrer Nähe ließ sie erschrocken zusammenzucken. Ryan war nicht draußen im Flur
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