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Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Titel: Der Klang des Pianos: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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den gerade erteilten Befehl zum Richten der Rettungsboote so lange als reine Vorsichtsmaßnahme auszugeben, dass alles in Ruhe vorbereitet werden konnte und die Rettung halbwegs ohne Panik vonstattenging?
    Henry Wilde sah die Matrosen um sich herum an und warf dann einen prüfenden Blick auf die Passagiere, ehe er leise anmerkte: „Bitte arbeiten Sie zügig, aber ruhig. Mr Andrews nimmt an, dass sich die Titanic noch etwa eine bis eineinhalb Stunden über Wasser halten wird. Die Funker haben Kontakt zur Carpathia aufgenommen, doch sie wird gut vier Stunden brauchen, bis sie hier ist.“
    Obwohl Adam äußerlich ruhig blieb, krampfte sich in seinem Inneren alles zusammen, als bohre ihm jemand ein Messer in den Unterleib. Wenn die Titanic in weniger als zwei Stunden in diesem Eismeer versank, würde es noch zwei weitere Stunden dauern, bis das Schiff zur Rettung der Passagiere an der Unglücksstelle eintraf. Das mochte eine überbrückbare Zeit in einem der Rettungsboote sein. Ihm war jedoch nur zu deutlich bewusst, dass die Plätze in diesen bei Weitem nicht für alle Passagiere, geschweige denn für die Besatzung ausreichten. Die Menschen, die unweigerlich im Wasser landen würden, konnten das nicht lange überleben, da die Wassertemperatur um den Gefrierpunkt lag 15 .
    Adam war erfahren genug, um sich das Chaos und die Panik vorzustellen, die unweigerlich auszubrechen drohten, wenn die Passagiere von dem Missverhältniss zwischen den Plätzen in den Booten und der Anzahl der Seelen an Bord erfuhren. Spätestens, wenn die Titanic von den Fluten überspült wurde, zu kentern drohte oder die größeren Aufbauten barsten, würde die Hölle losbrechen. Nun galt es in aller Umsicht so viele Menschen wie möglich in die kleinen Boote zu geleiten. Eine Herausforderung, die praktisch unmöglich war … doch er und seine Kameraden mussten sich ihr stellen – bis zum bitteren Ende!
    Adam drehte sich entschlossen um und nahm auf der Steuerbordseite die Plane vom ersten Rettungsboot. Auf Deck herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Passagiere der ersten oder zweiten Klasse machten sich zwar ein Bild von den Vorkehrungen, doch viele von ihnen blieben nicht lange hier draußen, da ihnen die Nachtluft zu kalt war.
    Obwohl das Schiff sich nun für jeden wahrnehmbar in Richtung Bug neigte, verhielten sich die Menschen ruhig und unterhielten sich leise. Einige trafen Verabredungen für den nächsten Vormittag, wenn die Frauen und Kinder nach dieser vorsorglich durchgeführten Ausschiffung wieder an Bord sein würden.
    Adam gewann den Eindruck, sie wollten den Gedanken, die Lage könnte ernst sein, gar nicht erst zulassen. Für sie war die Titanic ein perfektes, mit den besten Sicherheitsmaßnahmen ausgestattetes Wunderwerk der Technik, das unsinkbar war. Adam presste die Zähne aufeinander, als er um einen Davit herumging und die Seile eines zweiten Rettungsbootes löste.
    Unter der Anleitung von Offizier Murdoch wurden die Boote zunächst bis zum Promenadendeck hinuntergelassen und die Frauen und Kinder dorthin geschickt. Die Passagiere gehorchten, offensichtlich dankbar, dass ihnen ruhige, klare Anweisungen gegeben wurden. Einige Frauen protestierten gegen die Trennung von ihren Ehemännern, ließen sich dann aber überreden, den anderen Damen zum unterhalb liegenden Deck zu folgen.
    Hinter Adam zischte eine Leuchtrakete in die Höhe, die am unendlichen Sternenhimmel grellweiß explodierte 16 . Ein paar Frauen schrien vor Schreck auf. Das Leuchtgeschoss sah vor dem sternenübersäten Himmel so verschwindend klein aus, dass Adam ein sarkastisches Grinsen nicht unterdrücken konnte.
    Nun schwiegen die Passagiere plötzlich, die sich in seiner Nähe aufhielten, und in einem jungen weiblichen Gesicht konnte er zum ersten Mal den Anflug des Verstehens erkennen. Dieses Mädchen packte den Arm ihrer Mutter, die über ihrem Morgenrock einen Pelzmantel trug, und rief ihr gegen den Lärm der arbeitenden Männer und das gewaltige Dröhnen des aus den Ventilen am Kamin entweichenden Dampfes zu: „Mutter, wir gehen jetzt zu den Rettungsbooten!“ In diesem Moment hörte Adam jemanden seinen Namen rufen. Er drehte sich um und erblickte Rick zwischen den anderen Passagieren. Der Deutsche hatte sich von der zweiten Klasse bis zu ihm nach vorn in den Bereich des nur für die Passagiere der ersten Klasse zugängigen Bootsdecks gewagt.
    „Was ist denn nur los?“, fragte Rick, und seine Atemluft kondensierte zu weißem Nebel.
    „Wir

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