Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
das schrille Zerbersten von Tausenden von Geschirrteilen, das Stöhnen von Metall und ein seltsames Splittergeräusch.
Schließlich erloschen die Lichter. Das Schiff war nur noch ein gigantischer schwarzer Schatten, der sich unter Ächzen und Stöhnen gegen das Wasser anstemmte. Adam kniff die Augen zusammen. Täuschte er sich, oder brach die Titanic entzwei? Jedenfalls fiel das Heck immer schneller werdend in seine ursprüngliche Position zurück und klatschte dann mit irrsinniger Wucht auf das Wasser auf. Es dauerte nicht lange, da stieg das Heck erneut, diesmal noch steiler, in die Höhe. Die Sterne beleuchteten eine schreckliche Szenerie, doch Adam konnte seine Augen nicht abwenden.
Völlig ohne Eile, scheinbar bedächtig, stiegen die drei gewaltigen Schiffssschrauben immer höher den Sternen entgegen.
Richard, der seinen Irrtum bemerkt hatte, war umgekehrt. Gegen die immer bedrohlicher werdende Steigung lief er den Weg zurück, den er gekommen war. Teilweise musste er sich auf allen Vieren vorwärtsbewegen, weil seine nassen Schuhe auf dem schrägen Boden fortrutschten. Schließlich erreichte er die Erste-Klasse-Lounge und fand sich inmitten einer aufgewühlten, schreienden und drängenden Menge von Menschen wieder. Sie alle strebten auf die Tür zu.
Plötzlich hob sich das Heck der Titanic immer schneller, immer steiler an. Stühle purzelten umher und der Flügel rutschte wie ein riesiges Geschoss auf eine Gruppe Menschen zu. Deren gellende Schreie wurden unerträglich, schrill, verzweifelt …
Endlich konnte Richard die kalte Nachtluft einatmen. Er war mit dem Strom der nach draußen drängenden Passagiere hinausgelangt. Instinktiv warf er sich auf alle Viere, um so der Schwerkraft, die ihn über die Holzplanken hinunter in das brodelnde schwarze Wasser ziehen wollte, ein Schnippchen zu schlagen. Er kroch bis an die Reling. Passagiere warfen Deckstühle über Bord, ungeachtet dessen, ob sie im Wasser schwimmende Personen trafen, und sprangen dann hinterher, um die Stühle als Treibhilfen benutzen zu können.
Richard umklammerte die Reling und zog sich auf die Füße, soweit ihm dies bei der Schräglage des Schiffes gelingen mochte. Seine Lage war aussichtslos. Die meisten Rettungsboote waren schon nicht mehr zu erkennen, so weit entfernt hatten sie sich. Die Titanic war im Begriff zu sinken und das Wasser, das ihn gleich in Empfang nehmen würde, eiskalt.
„Norah …“, flüsterte er. Ein reißender Schmerz breitete sich in seinem Inneren aus. Er wollte nicht, dass sie um ihn trauern musste. Sein Blick schweifte zu den klar vom Nachthimmel funkelnden Sternen hinauf. Es kam ihm vor, als wollten sie ihm zuraunen, dass er Norah wiedersehen würde. Vielleicht nicht hier in dieser Welt, sondern in einer anderen, besseren … darauf würde sie hoffen – und er auch!
Er spürte, wie der Schiffsrumpf erzitterte, neue Bewegung in ihn kam. „Mein Leben ist in deiner Hand“, betete er. Er schwang sich über die Reling. Inzwischen trennten ihn nur noch wenige Meter von der Wasseroberfläche.
Erneut umfing ihn eisiges Wasser. Jemand trat mit den Füßen nach ihm und traf ihn in den Bauch. Unwillkürlich öffnete er den Mund und schluckte Salzwasser. Die Schwimmweste mit den Korkblöcken trug ihn zwar schnell wieder nach oben und würde ihn vermutlich vor dem Ertrinken retten, nicht aber vor dem Erfrieren. Er hustete und blickte sich suchend um. Immer mehr Menschen sprangen nun in die schwarzen Fluten, während die letzten Lichter der Titanic erloschen. Zuletzt gaben sie nur noch ein orangefarbenes, sanftes Glühen von sich, ehe es auf dem sterbenden Ozeanriesen vollkommen dunkel wurde. Richard schwamm, wenn er auch nicht wusste, wohin. Er hatte sich auf den Rücken gedreht, um die von Bord springenden Menschen und die Gegenstände, die sie als Rettungsinseln über Bord schleuderten, im Auge behalten zu können. Seine erschreckend schnell schwer, fast lahm werdenden Gliedmaßen machten ihm bewusst, dass er nur ein paar Minuten, höchstens vielleicht eine halbe Stunde zur Verfügung hatte, um eines der weit entfernten Rettungsboote zu erreichen, bevor er erfror.
In diesem Moment traf ein über Bord geschleudertes Holzstück seinen Kopf. Es wurde schwarz um ihn.
Die Schornsteinattrappe, der letzte der vier Schlote, befand sich in Höhe des Wasserspiegels, als das Heckteil sich bis zu einem Winkel von vielleicht 70 Grad und zu einer Höhe von rund 50 Metern aufgerichtet hatte.
Nachdem der gewaltige,
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