Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
„Ich weiß ein Haus, das im Moment leer steht, Sternchen. Das wäre mir als Aufenthaltsort für dich viel lieber.“ Sie erhob sich und trat Norah in den Weg. „Am besten wird es sein, wenn wir jetzt Catherine nach Hause bringen. Anschließend gehen wir gemeinsam zu Miss Andrews, falls sie überhaupt noch hier in Belfast sein sollte. Mit Ellas Familie und Violetta ist mein Haus sowieso voll. Aber ich werde dich nicht allein irgendwohin gehen lassen, Norah.“
„Ich darf hierbleiben?“, fragte Violetta leise und blickte mit großen Augen von Chloe zu Norah.
Norah eilte zu ihr und ergriff ihre Hände. „Natürlich – bis wir ein neues Zuhause für dich gefunden haben.“
Noch ehe Violetta ihr danken konnte, drehte Norah sich schon wieder um, schloss Ella in die Arme und wirbelte noch vor Chloe und Catherine aus dem Haus.
Ein rötlicher Schimmer breitete sich von Osten her über der Stadt aus und der Nebel fiel förmlich in sich zusammen. Der Himmel klarte auf, die Luft roch nach salziger Feuchtigkeit und die Schreie der Möwen hallten über das Viertel hinweg und begleiteten die beiden Frauen auf ihrem Weg.
Norah griff nach Chloes Hand und hielt sie fest. „Du weißt gar nicht, wie froh ich war, als ich dich in der Dachstube gesehen habe! Ich hatte schon befürchtet, diese drei Männer in der Victoria Street hätten dir Schlimmes angetan.“
„Zwei von ihnen sind tot, Norah. Der Vornehme hat sie einfach kaltblütig erschossen. Ich dachte schon, ich bin die Nächste, aber er hat mich verschont.“
Norah drückte die Hand der Freundin noch kräftiger und wartete, bis sie von sich aus weitere Einzelheiten erzählte. Hatte sie zuvor noch Erleichterung darüber empfunden, endlich alle Gefahren überwunden zu haben, so machte nun ein unangenehmes Ziehen in ihrer Magengegend sie darauf aufmerksam, dass schon wieder Ärger zu befürchten war.
„Die waren auf der Suche nach einer Norah, die wohl mal die Geliebte des Mannes gewesen ist. Aber sie müssen dich irgendwie mit ihr verwechselt haben. Sie sagten, dass die andere Norah etwas Wertvolles gestohlen habe, Kunstgegenstände oder Ähnliches.“ Chloe atmete tief durch, bevor sie weitererzählen konnte. „Ihr Komplize weiß wohl nicht sicher, ob diese andere Norah die Diebesbeute noch besitzt oder sie inzwischen verkauft hat.“
Norah nickte und fuhr sich müde mit der Hand über die Augen, wobei ihr Verstand jedoch weiter scharf arbeitete. „Ich habe mal eine Norah getroffen, vor etwa einem Jahr. Sie rannte durch die Werftanlage und prallte mit mir zusammen. Damals meinte sie, zwei Männer würden sie verfolgen, weshalb ich sie in einem der Hafenschuppen versteckte.“
„Da könnte die Verwechslung passiert sein“, vermutete Chloe und bedachte Norah mit einem vorwurfsvollen Blick.
„Ich wollte nur helfen!“, verteidigte sich Norah.
Chloe lachte laut auf, schlug sich dann aber die Hand vor den Mund. Die Gassen waren zu der frühen Morgenstunde noch leer und sehr still und dementsprechend kräftig hallte ihr Lachen von den Gebäuden wider.
„Du hast bei einem Raub geholfen, liebes Sternchen“, konnte sie sich nicht verkneifen Norah zuzuraunen.
Diese verzog erst erschrocken das Gesicht, zuckte dann aber mit den Schultern und erklärte bestimmt: „Ich habe lediglich einer Frau geholfen, die von zwei Kerlen verfolgt wurde.“
„Ist schon gut. Aber ich werde jetzt vermutlich wegen Mordes an den zwei Männern gesucht.“
„Was?“ Norah blieb ruckartig stehen und wandte sich Chloe zu. Diese atmete schwer, da sie Norahs Tempo nicht gewohnt war, erzählte aber dennoch in knappen Worten, was in der Nacht noch geschehen war, nachdem sie Norah zur Flucht vor den drei Männern verholfen hatte.
Chloe unter Mordverdacht? Norah schüttelte bei diesem Gedanken entsetzt den Kopf. Das durfte einfach nicht passieren! Wie sollte ihre Freundin sich gegen so einen schrecklichen Vorwurf und bei der Aussichtslosigkeit ihrer Lage denn verteidigen? Ungewohnt furchtsam fragte sie:„Denkst du, der Mann hat dein Gesicht gesehen?“
„Ich weiß es nicht, Norah. Es war dunkel und mein Gesicht war schmutzig. Außerdem habe ich mich gleich umgedreht und bin weggelaufen.“
„Aber sicher bist du dir nicht?“
Chloe schüttelte betrübt den Kopf.
„Also gut. Das heißt, wir werden dich verstecken, bis ich unauffällig herausfinden konnte, ob nach dir gesucht wird. Danach entscheiden wir, was wir weiter tun.“ Norah eilte noch schneller die Straße entlang, dem
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