Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
schwere Last drückte auf sein Herz und er spürte den Verlust all der Menschen fast als körperlichen Schmerz.
Seine innere Unruhe trieb ihn nach draußen auf Deck. Eisberge säumten ihren Weg, der durch ein gewaltiges Eisschollenfeld führte, dessen Ende nicht abzusehen war. Adam betrachtete fasziniert die mal weißen, mal bläulichen und dann wieder klar schimmernden bizarren Eisformationen. Er fuhr nun bereits seit mehr als 10 Jahren zur See, hatte jedoch auf dieser Route noch niemals eine Eisfläche dieses gewaltigen Ausmaßes gesehen, ganz zu schweigen von den meterhohen Eisbergen 23 .
Zögernd wandte er sich ab und machte sich auf die Suche nach einem Offizier, um sich zu erkundigen, was er tun konnte. Er ging zwischen den Reihen der Menschen hindurch und besah sich die von den ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages beleuchteten Gesichter. Bevor er durch eine Tür in das Innere des Schiffes trat, blickte er zurück. Hunderte von Personen unterschiedlichen Alters kauerten dort. Sie alle hatten eine schreckliche Nacht durchlitten. Aber sie hatten überlebt, weil die Ingenieure und Männer wie Dylan standhaft bei ihrer Arbeit geblieben waren. Dank ihnen hatten sie Strom für die Funkanlage, für das Licht und vor allem auch für die Pumpen gehabt. Mit deren Unterstützung war das Schiff lange genug im Gleichgewicht geblieben, damit auf beiden Seiten die Rettungsboote sicher abgefiert werden konnten. Einige von ihnen waren nur noch am Leben, weil Männer wie Richard sie ermutigt hatten, überhaupt erst in die Boote zu steigen. Ein winziger, heller Funken Dankbarkeit, gleich einem der Sterne, die er die Nacht über beobachtet hatte, setzte sich in seinem Herzen fest.
Die beiden Frauen näherten sich dem Pirrie-Anwesen, und Norah bemerkte, wie Chloe zunehmend unruhiger wurde. „Wir sollten uns hier lieber nicht sehen lassen“, murmelte ihre Freundin halblaut vor sich hin. „Vergiss Ryan nicht!“, sagte sie lauter, als Norah nicht reagierte, und schaute sie unter zusammengezogenen Augenbrauen missbilligend an.
„Ryan ist erst einmal mit dem beschäftigt, was heute Nacht sowohl in seinem Landhaus, vor allem aber auch in seinem Bordell passiert ist. Der Mann ist nicht dumm. Er wird jetzt erst einmal keinen zusätzlichen Staub aufwirbeln, seinen empörten Kunden aus dem Weg gehen und vielleicht für eine Weile untertauchen wollen. Mir wird nichts geschehen. Aber dich müssen wir möglichst schnell verstecken. Wenn wir mal vom Schlimmsten ausgehen, will man dir den Mord an zwei Männern anhängen!“
Norah spürte Chloes prüfenden Blick auf sich und sah, wie sie hilflos den Kopf schüttelte. „Du hörst ja sowieso nicht auf mich.“
„Dir fehlt Schlaf, liebe Freundin. Aus diesem Grund reagierst du ein wenig überempfindlich. Am besten legst du dich nachher im Haus deiner Bekannten hin und ich kümmere mich um alles.“
„Geh einfach weiter, Norah“, brummte Chloe.
Gemeinsam betraten sie das Grundstück und Norah klingelte. Sarah öffnete und schenkte ihnen ein freundliches Lächeln.
„Ist Miss Andrews schon auf?“, erkundigte sich Norah und bezweifelte es gleichzeitig. Es war doch noch erschreckend früh.
„Ich fürchte nicht, Miss Casey.“
„Würden Sie sie bitte für mich wecken? Ich habe keine Ahnung, wie lange ich noch in der Stadt bin, und ich wollte mich bei ihr für ihr Einschreiten bedanken.“
„Und ich möchte dringend darauf hinweisen, dass Sie sich nicht ständig unerlaubt Zutritt zu diesem Anwesen verschaffen sollten, Miss Casey“, drang eine weibliche, ganz offensichtlich erzürnte Stimme zu den Freundinnen hinaus.
Selbst Sarah wich erschrocken zurück und gab dadurch die Tür frei. Helena stand in Begleitung zweier sehr kräftig aussehender Männer im Foyer, was Norah veranlasste, sich zu ihrer vollen Größe aufzurichten, wodurch sie Helena um gut zehn Zentimeter überragte. „Entschuldigen Sie bitte die Störung, Miss Andrews. Ich wollte mich lediglich für Ihre Hilfe bedanken.“
„Die Tatsache, dass ich Mr Martin erlaubt habe, das verletzte Mädchen hier unterzubringen, rechtfertigt noch lange nicht Ihr ständiges Ein- und Ausgehen.“
„Bitte entschuldigen Sie. Mein Fehler. Ich habe unüberlegt gehandelt.“ Norah warf einen Blick auf die beiden im Hintergrund wartenden Männer. Ob sie als Kutscher oder Gärtner auf dem Anwesen beschäftigt waren? Weshalb umgab sich Helena mit ihnen? Sie hatte doch nicht etwa Angst vor ihr? Dann hätte Chloe mit ihrer Befürchtung,
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